Erst war es die Rückkehr eines Heilsbringers. Inzwischen fragt sich Rafael van der Vaart: „Was mache ich eigentlich hier?“

Er war der Heilsbringer, der Retter in der Not, der Strohhalm und größte Hoffnungsträger des HSV. Als Rafael van der Vaart am 31. August 2012 nach Hamburg zurückkehrte, weil der Club die vereinsinterne Rekordsumme von 13 Millionen Euro nach London überwiesen hatte, waren die HSV-Fans aus dem Häuschen. Fußballerischer Ausnahmezustand am Volkspark. Der Heimkehrer, der „kleine Engel“, wurde enthusiastisch gefeiert und auf Händen getragen. Jetzt wird alles gut, dachten die meisten.

Doch die umjubelte Verbindung hat sich anders entwickelt als erhofft. Seit genau 555 Tagen läuft nun die zweite HSV-Ära des Niederländers, und sie läuft von Woche zu Woche schlechter. Fußball-Größen wie Günter Netzer, Uli Stein und Lothar Matthäus kritisierten die Nummer 23 des HSV zuletzt öffentlich hart, gelegentlich sogar brutal. „Was van der Vaart auf dem Platz bringt, hat mit Fußball und Mannschaftssport nichts zu tun“, ätzte Stein. Und Matthäus (ver-)urteilte: „Van der Vaart ist eine Zumutung für seine Mannschaft.“

Die Rückkehr des inzwischen 31-jährigen Spielmachers stand von Anfang an unter keinem guten Stern. An jene Leistungen, die ihn einst vom HSV zu Real Madrid wechseln ließen, konnte der niederländische Nationalspieler (109 Länderspiele) nie wieder anknüpfen. Van der Vaart gab nach jeder Halbserie unumwunden zu: „Ich bin selbst nicht zufrieden mit dem, was ich leiste, ich kann es besser.“ Nur: Gezeigt hat er es bis heute nie wieder.

Auch deshalb, weil es abseits des Platzes zu viele Dinge gab, die mit dem Beruf des Profifußballers nur schlecht zu vereinbaren sind. Der Name van der Vaart stand jeden Tag in den Zeitungen, leider nie im Zusammenhang mit fußballerischen Glanztaten. Es ging bergab, van der Vaart, der sein Privatleben von Beginn an öffentlich gemacht hatte, steckte in einem Teufelskreis. Und niemand half.

Auch von seinem Arbeitgeber, dem HSV, kam da nichts. Niemand stellte sich vor den Kapitän, keiner stand an seiner Seite, es fand sich auch nicht einer, der mit einem Machtwort für klare Verhältnisse gesorgt hätte. So wie es einst der große Ernst Happel tat, der seinen Nationalspieler Manfred Kaltz damals vor einem Training nach Hause schickte: „Komm erst wieder, wenn du deine privaten Dinge geregelt hast...“ Eine solche Hilfestellung wäre für den HSV 2013/2014 wichtig gewesen, und natürlich auch für van der Vaart. Vielleicht wären ihm durch eine solche Aktion des Trainers oder des Vorstands noch rechtzeitig die Augen geöffnet worden. Aber das blieb aus, alle sahen dem bunten und voyeuristischen Treiben und somit dem steilen Abstieg des letzten großen HSV-Stars tatenlos zu.

Jetzt scheint die Situation ziemlich verfahren. In der niederländischen Zeitung „Algemeen Dagblad“ sagte Rafael van der Vaart in dieser Woche: „Dass ich in letzter Zeit schlecht gespielt habe, weiß ich. Wir spielen dramatisch. Ich kann mich dem nicht entziehen. Natürlich habe ich mich manchmal gefragt, was zum Teufel ich hier mache? Jeder hat das Recht zu sagen, dass es die falsche Entscheidung war, zurückzukehren...“ So denken inzwischen auch viele HSV-Fans. Und es werden täglich mehr. Rafael van der Vaart ist einer Mogelpackung aufgesessen, als er nach Hamburg zurückkehrte. Der aktuelle HSV hat mit dem Verein, den er kannte, nichts mehr zu tun.

Der Bundesliga-Dino kämpft nur noch ums Überleben. Zum Glück hält Trainer Mirko Slomka zu seinem derzeit formschwachen Star, denn der Trainer hat erkannt, dass nach all den verletzungsbedingten Ausfällen nicht auch noch der Kapitän von Bord gehen darf. Deshalb sollten auch alle jetzt zweifelnden HSV-Fans ihrem einstigen Hoffnungsträger die Hände reichen. Dieser HSV, den einige Experten unverhohlen als Abstiegskandidaten Nummer eins bezeichnen, braucht jeden Spieler – erst recht einen so guten, wie es Rafael van der Vaart einmal war. Jetzt geht es darum, den „kleinen Engel“ wieder auf die Beine zu stellen. Applaus soll gelegentlich wahre Wunder bewirken. Im Interesse des HSV wäre es nicht nur einen Versuch wert, es ist in diesem Fall wohl der einzig gangbare Weg.

Auch Rafael van der Vaart, der letzte HSV-Feldspieler mit dem Prädikat „internationale Klasse“, weiß genau: „Ein Abstieg des HSV wäre ein Drama.“

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab