Vom Verkauf des Abendblatts an Funke über die Rolle des Journalismus bis hin zu der neuen Initiative „Partei ergreifen“ – Auszüge aus der Rede von Chefredakteur Lars Haider
Meine sehr geehrten Damen und Herren, da macht man einmal einen Witz über Dortmund – und dann kommen die gleich aus Nordrhein-Westfalen und kaufen einen ... Viele von Ihnen haben mich bei der Begrüßung gefragt, ob ich die Anekdote aus dem vergangenen Jahr nicht noch einmal erzählen könnte. Ich wüsste schon, diese Geschichte mit den Dortmundern, die 5:1 beim HSV gewinnen, aber dann eben doch wieder zurück nach Dortmund müssen ... Ja, das könnte Ihnen so passen, nachdem ich jetzt monatelang versucht habe, das Video vom Neujahrsempfang 2013 aus dem Internet zu löschen, natürlich vergeblich. Nein, mal im Ernst: Heute vor einem Jahr dachte ich an dieser Stelle noch, für Hamburg würde die Internationale Gartenschau das herausragende Ereignis 2013 werden und für das Abendblatt der 65. Geburtstag. So kann man sich irren (...).
Heute sind sowohl die Springers als auch die Funkes zu Gast, soll heißen, Achtung!: Wenn der Funke jetzt nicht überspringt, wann dann? Zusammen bescherten uns die beiden die wahrscheinlich schönste Erkenntnis in 2013: Das Hamburger Abendblatt ist mehr wert als die „Washington Post“ – wer hätte das heute vor einem Jahr gedacht?
Liebe neue und liebe alte Inhaber, aber vor allem liebe Leserinnen und Leser: Ich verspreche Ihnen, dass wir beim Hamburger Abendblatt so weitermachen wie bisher, dass wir alles tun, um an unser journalistisch erfolgreichstes Jahr, nämlich das Jahr 2013, anzuknüpfen. Wir haben uns sehr gefreut, dass unsere Arbeit so oft ausgezeichnet wurde und wir erneut zu Deutschlands bester Regionalzeitung gewählt wurden.
Geärgert haben wir uns allerdings auch: immer dann, wenn über Journalismus gesprochen wurde, als sei der eine stinknormale Ware wie Büroklammern oder Windeln. Für uns war Journalismus das nie. Natürlich ist es schön, wenn man damit Geld verdienen kann, aber im Kern geht es darum nicht. Uns Journalisten geht es um mehr: um Demokratie, um Freiheit und um die Frage, wie wir in einer Stadt wie Hamburg leben wollen und wie man verhindern kann, dass hier etwas falsch läuft.
Und es läuft etwas falsch, wenn in dieser Stadt Hunderte Polizisten bei Krawallen und Übergriffen verletzt werden.
Es läuft etwas falsch, wenn ein kleines Kind in der eigenen Familie gewaltsam ums Leben kommt.
Und es läuft etwas falsch, wenn Menschen in einem Haus wohnen, das jeden Moment einstürzen kann.
All das sind Themen, bei denen das Hamburger Abendblatt 2014 genau hinsehen wird, ähnlich genau wie zuletzt bei der Dokumentation über die Elbphilharmonie. Vor allem sind das aber Themen, die zehnmal wichtiger sind als die Frage, wem in Hamburg die Stromnetze gehören. Damit sind wir schon im neuen Jahr. Was halten Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, davon, wenn wir Hamburg nicht nur neu denken, wie es auf Ihrer Einladungskarte steht, sondern wenn wir Hamburg gleich noch besser machen? Ja, das geht selbst in der schönsten Stadt der Welt, aber es geht eben nur gemeinsam. Und wir beim Hamburger Abendblatt wollen dort anfangen, wo es aus unserer Sicht am wichtigsten ist: bei den Parteien.
Nein, nicht, was Sie denken: Jetzt kommt keine billige Parteienschelte, kein „Die können nichts und verdienen sowieso zu viel“. Jetzt kommt das Gegenteil. Wir wollen im Hamburger Abendblatt Menschen animieren, sich wieder mehr in Parteien zu engagieren und damit den einzigen Weg ständiger Mitbestimmung zu gehen, den das Grundgesetz vorsieht. Noch im Januar werden wir die Initiative „Partei ergreifen" starten, die sich über das ganze Jahr ziehen wird (...) – ein Jahr, in dem die Bezirksparlamente gewählt werden, in dem es um Europa geht und an dessen Ende die nächste Bürgerschaftswahl nicht weit ist. Es gibt kein besseres Jahr, um den Hamburgern Lust auf Politik zu machen, und es ist höchste Zeit dafür. Sonst laufen wir Gefahr, dass künftig alle großen Fragen unserer Stadt per Volksentscheid geklärt werden.
Auch hier möchte ich nicht falsch verstanden werden: Ich habe nichts gegen direkte Demokratie. Aber ich finde es bedenklich, wenn Volksentscheide den Menschen vorgaukeln, es sei nicht mehr wichtig, sich in Parteien zu engagieren. Ich finde es bedenklich, dass wir immer öfter so tun, als könne der von uns gewählte Senat schwierige Probleme nicht allein lösen – wofür, bitte schön, haben wir ihn dann? (...) Und ich befürchte, dass Volksentscheide immer von jenen Gruppen initiiert werden, die sich das leisten, die mobilisieren und geschickt taktieren können (...). Deshalb will das Hamburger Abendblatt Partei ergreifen, überparteilich natürlich, und zeigen, dass Parteipolitik nicht nur wichtig ist, sondern auch Spaß machen kann. Mindestens so viel Spaß, wie sich für Menschen einzusetzen, die es nicht so gut haben wie man selbst. Mein Lieblingsbeispiel ist der Pottkieker, eine Suppenküche für arme, ältere Menschen. Schlimm genug, dass es so etwas in Hamburg überhaupt geben muss. Aber als es dann hieß, der Pottkieker müsse wegen fehlender 32.000 Euro im Jahr schließen, hatten die Abendblatt-Leser genug. Innerhalb weniger Tage kamen 200.000 Euro für die Suppenküche zusammen.
Das ist mein Hamburg, und das ist eine der herausragenden Funktionen des Hamburger Abendblatts. Wir bringen die, die ein Problem haben, mit jenen zusammen, die es lösen. Und ich behaupte: Das können auch nur wir. Wenn Sie uns dabei helfen wollen, sind Sie herzlich eingeladen: Lassen Sie uns Hamburg gemeinsam im neuen Jahr noch besser machen!