Abendblatt-Video und Gespräch mit dem Bestseller-Autor: 36 Jahre nach dem Horror-Welterfolg „Shining“ hat Stephen King mit „Doctor Sleep“ die Fortsetzung geschrieben.
„Ich habe Ihre Schreie gehört, damals... Gern geschehen.“ Ein leichtes Grinsen kann er sich bei diesem Satz dann doch nicht verkneifen. Herzlichen Dank für das alles, Mister King, damals. Für die üblen Panikattacken nach der Schule im Programmkino und die schweißnassen Hände beim Umblättern nach Einbruch der Dunkelheit. Für die Nachbarschafts-Vampire in „Salem’s Lot“, den mörderischen Clown in „Es“, das Zimmer 237 im eingeschneiten Overlook Hotel und den komplett irren Jack Nicholson mit der Axt in Kubricks „Shining“, für die Blutdusche in „Carrie“ und die Bestrafungsaktionen für einen ungehorsamen Bestseller-Autor in „Misery“. Der ersten Schauergeschichte, die von ihm 1965 veröffentlicht wurde, gab er den sympathischen Titel „Ich war ein Teenager-Grabräuber“. Um sein Haus in Maine hat er einen Metallzaun mit Fledermaus- und Spinnweben-Dekor ziehen lassen. Feinen Humor hat er also auch.
Seit den 70ern hat Stephen King Millionen junger Leser in aller Welt mit perfiden Grusel-Romanen und wild gewordenen Urängsten um den Schlaf gebracht. Hat sie abgehärtet für den kommenden Rest des Lebens. Seine Monster waren die Monster, mit denen wir groß wurden, Jahre vor den Zombies aus „The Walking Dead“ schienen sie genauso echt wie das erleichterte Aufwachen am Tag danach. King ist jetzt 66, ergraut, so unauffällig wie ein Fahrradständer und angenehm schlagfertig. Etwas rampenlichtscheu ist er auch, beim Pressegespräch im 20. Stock des Atlantic-Hauses auf St. Pauli.
Und: Er hat es tatsächlich, endlich, schon wieder getan.
Sein 56. Buch, „Doctor Sleep“ (Heyne) ist mit gut 700 Seiten mal wieder ein echter Kingsize-Brocken, vor allem aber die Fortsetzung zu „Shining“, nach 36 Jahren. Danny Torrance, der kleine Junge auf dem roten Tretauto, ist erwachsen. Was er erlebt zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Harmlos ist es nicht. Darüber gegrübelt hat King ungefähr 20 Jahre, sagt er, immer wieder hat er sich befragt, wie alt Danny wäre, ob Danny wohl reif wäre für eine Wiederbegegnung. Die eigene Meinung, dass Fortsetzungen von Romanen normalerweise der letzte Ausweg von schwächelnden Autoren sind, lässt King in diesem Fall nicht gelten. „Das wäre eine feige Begründung dafür, es nicht zu tun. Damit wollte ich es aufnehmen. Und es gab einen Hoffnungsschimmer für mich: Mark Twain schrieb ,Tom Sawyer‘, und er schrieb einige Jahre später eine Fortsetzung, ,Huckleberry Finn‘, die als ein Meisterwerk der modernen amerikanischen Literatur gilt. Und wenn Mark Twain das kann... kann ich es ja wenigstens mal versuchen. Aber, stimmt schon, generell gesprochen: Sequels suck.“
Das mit dem Lesererschrecken, auf das man ihn ständig anspricht, das sei eigentlich nur ein Abfallprodukt, sagt King. Er ist Geschichtenerzähler, „Geschichten erzählen, die die Leute mitnehmen“, das macht ihm Freude. „Irgendwo tief in uns drin steckt, warum auch immer, der Wunsch, das Allerschlimmste unmittelbar mitzuerleben.“ Mittwochabend kamen deswegen etwa 3000 King-Fans ins CCH, zu einem ausverkauften Nachrücker-Termin des Harbour-Front-Festivals. Und tief in ihm drin steckt auch eine romantische Ader. Kein Wunder eigentlich, denn auch der Horror, den seine Leser bei der Begegnung mit seinen Romanfiguren durchleiden, wurzelt seiner Meinung nach in ihrer Liebe für sie. Und deswegen auch: „Ich bin begeistert von der Idee, dass Liebe das Konzept ist, das die Welt von der Selbstzerstörung abhält.“
Schreiben ist für King nicht nur eine Sucht, die andere ablöste, es ist der Lebensmotor schlechthin. „Selbst wenn ich einen lausigen Tag beim Schreiben habe, ist er immer noch fantastisch“, sagt er. „Wenn ich nicht dazu komme, bin ich auf Entzug.“ Fürs Erledigen des täglichen Pensums hat King sich abseits seines ohnehin schon abgelegenen Hauses ein Schreibhüttchen eingerichtet, mitten im Wald, ganz idyllisch. Dort kann der Hobby-Gitarrist – „Ich kann nur etwa neun Akkorde“ – dann ungestört seinen lauten Rock ’n’ Roll hören, ohne dass die Frau genervt ist. Etwa vier Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ein Zeit lang war die Droge seiner Wahl der Acht-Minuten-Dance-Mix von Lou Begas „Mambo Nr. 5“ . Danach wurde ihm von Tabitha King, der Herrin des Hauses, die Waldhütte verordnet. Zu viel Horror, selbst für Stephen Kings Frau.
Für Autoren, die Jahre auf einem einzigen Buchkonzept herumbrüten, hat der Vielschreiber King kein Verständnis. „Ich hatte immer schon diese fürchterliche Schwäche, ständig Ja zu allem zu sagen“, kokettiert er. „Meine Mutter sagte mir damals, Stephen, wenn du ein Mädchen wärst, wärst du ständig schwanger.“ Für Sommer 2014 steht der nächste Roman zur Veröffentlichung an: „Mister Mercedes“. King ist Mercedes-Fahrer, und irgendwann hatte er diese Idee: Dieser Wagen wäre „eine perfekte Mordwaffe. Er ist groß, lässt sich gut bedienen und ist schnell, wenn man verduften muss.“ Ein weiterer Roman namens „Revival“ ist im Rohzustand, außerdem ist ein Drehbuch zur TV-Fassung des Romans „Under The Dome“ fällig. Es gibt noch viele unerledigte Monster in Kings Leben.
Stephen King ist inzwischen 66, Großvater, trockener Alkoholiker, Ex-Drogenabhängiger und mehrfach dem Tod durch brutale Unfälle oder schwere Krankheiten von der Schippe gesprungen. Er ist das Oberhaupt eines Familienclans, der bis auf eine Tochter aus durchaus erfolgreichen Autorinnen und Autoren besteht. Aber dennoch: Abends, wenn es dunkel wird und er allein ist mit sich und seiner überbrodelnden Fantasie, achtet King immer noch darauf, dass seine Füße unter der Bettdecke stecken, wenn er das Licht löscht, und ja nicht in die Nacht herausragen. Sicher ist sicher, wer wüsste das besser als er.
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