Die Hamburger BioCycling betreibt in Bahrenfeld eine Biogasanlage für Lebensmittel. Die Abfälle aus Supermärkten und Kantinen versorgen 3000 Haushalte mit Strom und heizen das Fußballstadion nebenan.
Hamburg. Die kleinen Lebewesen, die zu Millionen in der Nähe der HSV-Arena leben, lieben Joghurt, Pizza und Käse. Und sie sorgen dafür, dass aus diesen Lebensmitteln Strom und Wärme entsteht. Damit es die Fußballfans schön warm haben.
Oder anders ausgedrückt: Die Firma Biocycling sammelt organische Abfälle, also Speisereste und abgelaufene Lebensmittel, bei Supermärkten und Kantinen und liefert diesen „nassen Müll“ an die Biogasanlage des BioWerks, das seinen Standort in Blickweite des Stadions und der o2-Arena hat. Dort sorgen Millionen Bakterien dafür, dass Biogas entsteht. „Mit der Wärme heizen wir die beiden Arenen“, sagt Henning Hilmer, Geschäftsführer der Biocycling.
Und mit dem produzierten Strom können umgerechnet 3000 Haushalte im Jahr versorgt werden. Die rund fünf Millionen Euro teure Anlage des BioWerks kommt mit einem Zerkleinerer, einem Fermentationsbehälter und einem Gasspeicher, der mit dem Gas einen Verbrennungsmotor in einem Bockheizkraftwerk antreibt, auf eine Leistung von einem Megawatt.
Lebensmittel, die nicht mehr zum Verzehr bestimmt sind, werden in immer größerem Maße zur Energiegewinnung eingesetzt. Die Biocycling gehört zu den größten Verwertern dieser organischen Abfälle in Deutschland und wächst deutlich: Derzeit beschäftigt das Unternehmen 40 Mitarbeiter in Hamburg und setzt 21 Millionen Euro im Jahr um. „Bis 2020 wollen wir den Umsatz auf 30 Millionen Euro steigern und auf 60 Beschäftigte kommen“, sagt Henning Hilmer.
Zu den Wachstumstreibern der Hamburger Firma, einer Tochter des Entsorgungskonzerns Veolia Umweltservice, gehören die Energiepolitik und der Verbraucherschutz. Seit Inkrafttreten einer neuen EU-Hygieneverordnung 2002 sowie des Gesetzes zur Beseitigung von tierischen Nebenprodukten hat sich die Entsorgung von Lebensmittel- und Speiseabfällen nachhaltig verändert – dies war auch eine Folge des BSE-Skandals. Demnach dürfen seit November 2006 organische Abfälle mit Fleisch, wie sie typisch für Essensreste sind, weder verfüttert noch dem Futtermittelkreislauf zugeführt werden. „Wir verarbeiten heute das, was früher an die Schweine verfüttert wurde“, fasst Hilmer zusammen.
Auch das Gesetz für erneuerbare Energien befördert die Biocycling. Die Richtlinie begünstigt die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und hat dazu geführt, dass Tausende Landwirte in Deutschland statt Getreide oder Kartoffeln nun Mais auf ihren Äckern anbauen und aus diesen Pflanzen in Biogasanlagen Strom erzeugen. Der garantierte, relativ hohe Preis für den Strom aus erneuerbaren Energiequellen hat diesen Strukturwandel in Richtung einer Monokultur in Deutschland ausgelöst. Derzeit steuert die Politik allerdings wieder diesem Trend entgegen, und Experten schätzen, dass die Anlage von Maisfeldern bereits ihren Höhepunkt überschritten hat. Zugleich ist der Bestand von Biogasanlagen unverändert hoch, er liegt inzwischen bei 7000 Anlagen. Neue Technologien erlauben es, dass in mehr als 100 dieser Silos nicht mehr nur Mais und Grasschnitt, sondern auch Speisereste verarbeitet werden.
„Zugleich kommen immer mehr organische Abfälle auf den Markt“, sagt Hilmer. Abfallexperten gehen davon aus, dass in der Bundesrepublik rund 16 Millionen Tonnen organische Anteile im Gesamtabfallaufkommen schlummern. Die Uni Stuttgart geht von rund elf Millionen Tonnen Essensresten im Müll aus, wobei alleine zwei Drittel davon in den Privathaushalten anfallen. Aus dieser Menge könnte deutlich mehr Strom erzeugt werden als mit einem Atomkraftwerk. Derzeit wird aber nur rund ein Zehntel der Reste bundesweit vergoren.
Heute sammelt Biocycling bundesweit 80.000 Tonnen Essensreste im Jahr ein, bei Händlern wie Rewe, Famila oder Lidl, aber auch bei Gastronomiebetrieben wie McDonalds, die etwa gebrauchte Frittierfette sammeln. 20.000 Tonnen der Reste kommen aus der Metrolpolregion Hamburg, welche die Kunden der Biocycling in Containern auf ihrem Gelände einsammeln. Übrigens sieht sich die Biocycling nicht in Konkurrenz zu den Tafeln, weil ihre Container nur für Lebensmittel bestimmt sind, die nicht mehr zum Verzehr geeignet sind. Ob sich die Supermärkte an diese Trennung halten, ist allerdings unklar: Die Hamburger Tafel erlebt in den vergangenen Jahren einen deutlichen Rückgang der Lebensmittelspenden, sagt Achim Müller, Vorstand der Tafel.
Dagegen sieht Biocycling aber eine wachsende Menge von Essensresten, die der Energieerzeugung zugeführt werden können. „Weil die Entsorgung von Restmüll teurer für die Kunden ist, als wenn wir die organischen Abfälle sammeln, lohnt sich für immer mehr Supermärkte oder Großküchen das Trennen“, sagt Hilmer. „Es ist eben auch dem Anspruch der Kunden geschuldet, dass Äpfel mit braunen Stellen in den Supermärkten aus der Kühltheke geräumt werden“, gibt Jens Margull zu bedenken. Zwar steuern hier jetzt erste Unternehmen wie Edeka um, indem sie auch nicht ganz so perfektes Obst und Gemüse noch verkaufen, aber grundsätzlich bleibt das Problem dieses hohen Anspruchs bei den Verbrauchern bestehen.
Jens Margull ist Ingenieur und Betriebsleiter des BioWerks, das die Vergärung der Speisereste übernimmt. Die Biogasanlage Stellinger Moor gehört den Gesellschaften BioCycling, Stadtreinigung Hamburg und ETH Umwelttechnik und bietet noch eine besondere Technologie: Damit die Masse frei von Verpackungen wie Joghurtbechern oder Pizzapappen ist, werden diese Materialien, die von den Bakterien ohnehin verschmäht werden würden, durch eine Maschine von dem organischen Müll getrennt. Auf diese Weise wird hier noch eine weitere Nutzung der Lebensmittel ermöglicht: Nachdem die Bakterien ihre Arbeit getan haben, besteht der Brei noch zu gut 90 Prozent aus Wasser, der Rest sind Feststoffe mit Nährsalzen, eine Mischung, die sich als Dünger eignet und auf die Äcker rund um Hamburg gebracht wird.