Man muss die Menschen verstehen, die Afrika verlassen und ein besseres Leben in Europa suchen. Man muss dem Engagement der vielen Helfer für Flüchtlinge Respekt zollen. Und man muss, angesichts der verstörenden Bilder aus Lampedusa, grundsätzlich über die europäische Flüchtlingspolitik nachdenken und über die Verantwortung, die Staaten in Europa wie Afrika tragen.
Doch zunächst einmal muss man eines: den Rechtsstaat ernst nehmen. Den Rahmen für das europäische Asylrecht haben gewählte Regierungen gesetzt; das deutsche Asylrecht verlangt Einzelfallprüfungen. Man darf Gesetze für falsch halten und sie zu verändern suchen, doch zunächst muss man sich an sie halten. Genau das aber wollen die Lampedusa-Flüchtlinge aus der St.-Pauli-Kirche nicht – sie weigern sich, ihre Identität und Fluchtgeschichte preiszugeben, sie pochen auf eine Sonderbehandlung. Das mag individuell verständlich sein, der Staat aber kann und darf ein solches Verhalten nicht tolerieren. Auch die Kirche steht nicht über dem Gesetz. Und der politische Linksdrall einiger Unterstützergruppen sollte aufmerken lassen: Es ist unlauter, eine Flüchtlingsgruppe zu instrumentalisieren, um die „Festung Europa“ und die Asylpolitik in toto zu bekämpfen.
Mehr und mehr drängt sich der Eindruck auf, dass es einigen Aktivisten längst um offene Grenzen geht. Das würde auch erklären, warum eine Gruppe von Libyern unter dem Motto „Lampedusa in Hamburg“ die geballte Solidarität erfahren darf, während andere Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen ein anonymes Leben in Containern fristen müssen.
Hier offenbart die Debatte etwas Scheinheiliges. Und die moralgetränkten Forderungen bekommen eine seltsame Note. Wie kann man sich ernsthaft als Hamburger Politiker empören, dass die Polizei nach einem halben Jahr endlich nach der Identität der Flüchtlinge fragt? Und warum fordert ausgerechnet der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nun einen Kurswechsel in der Asylpolitik? Es ist doch gerade die groteske Landwirtschaftspolitik der EU, die Armut mitverursacht, ihre Zusammenarbeit mit Despoten, die das Fluchtproblem verschärfen. Und es sind wir Verbraucher, die Billigklamotten oder Discountkaffee kaufen, um ein paar Cent zu sparen.
Offene Grenzen werden diese Ungerechtigkeiten nicht beseitigen können – ganz im Gegenteil. Massive Einwanderung führt in Afrika wie in Europa zu Verwerfungen. Bei allem Beifall für Moralisten, es ist Aufgabe der Politik, hier ehrlich zu sein.