Die Parteiführung hat entschieden: Man will in Gespräche mit CDU und CSU eintreten. Einen möglichen Koalitionsvertrag sollen dann aber die 470.000 Mitglieder absegnen.
Berlin - Die SPD-Führung will mit CDU und CSU über eine große Koalition verhandeln. Dafür sprach sich die engere Parteiführung am Freitagnachmittag im Vorfeld eines Parteikonvents aus. Die Gespräche könnten in der kommenden Woche stattfinden. Konkrete Verhandlungen über eine große Koalition müsste erneut der Konvent als höchstes Beschlussgremium zwischen SPD-Bundesparteitagen billigen. Über einen möglichen Koalitionsvertrag sollen schließlich die rund 470.000 SPD-Mitglieder entscheiden – das wäre eine Premiere in Deutschland.
Allerdings war ungewiss, wie die rund 200 Delegierten aus den SPD-Landesverbänden beim Konvent am Freitagabend die Vorschläge auffassen würden. Viele sehen ein Bündnis mit der Union, der nur fünf Mandate zur absoluten Mehrheit fehlen, skeptisch. „Uns geht es um die Sache, nicht um Ministerposten“, betonte Vorstandsmitglied Hubertus Heil am Rande von Beratungen des Vorstands. Etwa um Mindestlöhne, eine Mietpreisbremse und eine bessere Gestaltung der Energiewende. Ob es eine große Koalition gebe, sei völlig offen.
„Von uns kriegt eigentlich jeder Pickel im Gesicht, wenn er daran denkt“, sagte Fraktionsvize Elke Ferner. Wenn es ein Gesprächsangebot der Union gebe, könne das aber nicht ausgeschlagen werden, so Ferner, die ebenfalls im 35-köpfigen Vorstand sitzt. Heil betonte, die SPD setze auf ein Maximum an Beteiligung. „Bei der SPD gibt es kein Ordre de Mufti oder gar ein Ordre de Mutti“, sagte er in Anspielung auf den Führungsstil von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Beteiligungsformen in der Union.
SPD-Chef Sigmar Gabriel will erstmals in der Parteigeschichte alle Mitglieder über den Eintritt in eine große Koalition mitentscheiden lassen. Dies soll möglichst vor dem Bundesparteitag am 14. November in Leipzig abgeschlossen sein. Das Ergebnis soll für die Führung politisch verbindlich sein, hieß es.
Gabriel betonte, es gebe keinen Automatismus hin zu einer großen Koalition, entscheidend sei vor allem der Zusammenhalt der Partei. Lehnt die Basis am Ende einen möglichen Koalitionsvertrag ab, dürfte die SPD-Spitze um Gabriel kaum zu halten sein, und man müsste sich womöglich neu aufstellen.
Zugleich wurde aber auch auf die enorm befriedende Wirkung eines positiven Entscheids verwiesen – und auf die Aussicht von mehr Zugeständnissen der Union in Anbetracht des Basisvotums. „Wir müssen das allergrößte Interesse darauf richten, dass die Partei am Ende dieses überaus schwierigen Willensbildungsprozesses geschlossen ist“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil.
Die SPD fürchtet, in einer großen Koalition ihr Profil zu verlieren und sich zu wenig durchsetzen zu können. Besonders die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, sieht ein solches Bündnis skeptisch. Sie will sich aber Gesprächen nicht verweigern. Es gibt Sorge um einen Erfolg der SPD bei Kommunalwahlen in zehn Ländern am 25. Mai, falls es zu einer großen Koalition komme.
SPD-Vorstandsmitglied Ralf Stegner hält einen Mitgliederentscheid über eine große Koalition für den richtigen Weg. „Wenn wir am Ende etwas machen, was wir nicht wollen, aber müssen, geht es gar nicht anders“, sagte er. „Das ist Chance und Risiko zugleich“, so Stegner mit Blick auf eine mögliche Ablehnung. „Die Basta-Zeiten sind vorbei. Das war ein Teil unserer Probleme in der Vergangenheit.“
Die Frage sei in der Partei so umstritten, dass man größtmögliche Geschlossenheit brauche. Es gelte den von Gabriel eingeschlagenen Weg von mehr Mitbestimmung weiterzugehen. Zugleich stärke ein Entscheid oder eine Befragung die SPD-Verhandlungsführer in Gesprächen mit der Union. „Die CDU wird uns nicht zum Discount-Preis bekommen“, betonte Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef. Entscheidend für eine große Koalition sei ein substanzieller Politikwechsel.
Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine große Koalition. 58 Prozent befürworteten in einer am Freitag veröffentlichten Umfrage für das ZDF-„Politbarometer“ eine schwarz-rote Regierung, nur jeder Vierte fände das schlecht.
Eine Mehrheit der SPD-Mitglieder lehnt laut der Forsa-Umfrage eine große Koalition ab. Wie das Portal „stern.de“ am Freitag berichtete, wollen 65 Prozent der befragten SPD-Mitglieder nicht, dass ihre Partei ein Bündnis mit der Union eingeht. Bei den Funktionsträgern sei die Ablehnung mit 70 Prozent sogar noch größer. Nur 33 Prozent der SPD-Mitglieder fänden Schwarz-Rot demnach gut.
Ein anderes Bild ergab sich dagegen dem Bericht zufolge bei der Befragung von Anhängern der SPD, also auch Nicht-Mitgliedern. Von den befragten SPD-Wählern würden demnach 57 Prozent eine große Koalition begrüßen. Nur 40 Prozent sprachen sich dagegen aus. Auch andere Umfragen für ARD und ZDF hatten unter den SPD-Anhängern Mehrheiten für ein Bündnis von Union und SPD ergeben. Nach dem Willen der SPD-Spitze könnte letztlich aber eine Befragung der Mitglieder über eine Koalition entscheiden.
Forsa befragte am Mittwoch und Donnerstag für den „stern“ 1001 Wahlberechtigte, von denen am Sonntag 174 der SPD ihre Stimme gaben, sowie 926 repräsentativ ausgesuchte Mitglieder der SPD.