Die Rede von Chefredakteur Lars Haider zum 25. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblattes im Wortlaut.
Sehr geehrte Frau Bürgerschaftspräsidentin,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde des Hamburger Abendblatts,
sind Dortmunder unter uns? - Ein Glück, das macht es mir leichter. Denn bevor ich mit meinem knapp zweistündigen Bericht zur Lage Hamburgs beginne, will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.
Sie spielt vor etwa einem Jahr, in der Imtech-Arena am Volkspark. Es ist der Rückrundenstart der Fußball-Bundesliga. Der HSV, damals noch ohne die van der Vaarts, verliert gegen Borussia Dortmund 1:5. Es war furchtbar, und ich muss sehr traurig ausgesehen haben, als mich der Manager einer Hamburger Reederei ansprach.
„Herr Haider“, sagte er, „was machen Sie denn für ein Gesicht?“
„1:5“, sagte ich nur. „Und wir hätten auch 1:10 verlieren können.“
„Ach, Herr Haider“, sagte der Manager. „Was ist denn passiert? Die Dortmunder, die können sich jetzt zwei, drei Stunden freuen, dass sie in Hamburg gewonnen haben. Und dann?“
„Was, und dann?“ fragte ich.
„Dann müssen sie zurück nach Dortmund“, sagte der Manager.
Warum ich Ihnen diese Geschichte erzähle? Nun, unter anderem, weil man sie praktisch mit jeder Stadt erzählen kann. Außer mit Berlin, versteht sich, dort gibt es aktuell ja keinen Erstliga-Verein...
Apropos Berlin: Da fällt mir ein Gespräch zwischen einem hippen Internet-Unternehmer aus der Hauptstadt und einem älteren Hamburger Kaufmann ein, das ich vor kurzem mitbekam.
„Ihr Hamburger tut mir leid“, sagte der Unternehmer. „Mit Berlin könnt ihr ja nicht mehr mithalten, die Stadt ist zwar arm, aber sexy.“
„Das stimmt“, sagte der Hamburger Kaufmann. „Da kann Hamburg nicht mithalten. Denn arm sind wir nun wirklich nicht...“
Auch hübsch, oder? Ich liebe dieses hanseatische Understatement, die bedingungslose Hingabe zu Hamburg. Nur darf dieses gesunde Selbstbewusstsein, um das uns viele so beneiden, nicht dazu führen, dass wir uns auf der Schönheit und den Vorzügen unserer Stadt ausruhen, und nur mit überteuerten Bauprojekten, gestoppten Flussvertiefungen oder instabilen Banken Schlagzeilen machen. Es wird Zeit, dass Hamburg seinen guten Ruf mal wieder mit Fakten unterlegt.
2013 ist ein gutes Jahr dafür. Denn 2013 kann ein Hamburger Jahr werden – Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu machen, gibt es mindestens fünfmal.
Gelegenheit eins und zwei sind die Internationale Gartenschau und die Internationale Baustellung in Wilhelmsburg. Die beiden dürften wahrscheinlich Hamburgs letzte Chance sein, den Sprung über die Elbe zu schaffen. Mit einem neuen Volkspark, mit modernsten Häusern und, hoffentlich, mit einer Seilbahn von St. Pauli nach Wilhelmsburg, auf die größte Flussinsel Europas. Andere Städte wären froh, wenn sie solch ein Potenzial in Citynähe hätten. Wir Hamburger müssen es endlich nutzen, wenn wir eine wachsende Stadt bleiben wollen.
Gelegenheit drei ist der Kirchentag, zu dem 100.000 Gäste erwartet werden, und bei dem es um ein großes Thema auch für Hamburg geht: Wie lässt sich die soziale Spaltung der Gesellschaft stoppen?
Gelegenheit vier - das Welttreffen der Lions mit 20.000 Teilnehmern. Darum musste man sich wie um Olympische Spiele bewerben – und Hamburg hat gewonnen! Das macht Lust auf mehr, wenn sie verstehen, was ich meine...
Und schließlich Gelegenheit Nummer fünf, die Bundestagswahl im September! Ein Hamburger Jung fordert eine gebürtige Hamburgerin heraus – und ich kann Ihnen verraten: In der jüngsten Abendblatt-Statistik liegt Peer Steinbrück deutlich vor Angela Merkel, und ich glaube nicht, dass sie diesen Rückstand noch aufholen wird. Allerdings wird sie das kaum ärgern. Denn Steinbrück führt unsere Leserbriefstatistik – Stichwort: Mehr Geld für den Kanzler – an, und die Zahl derjenigen, die seiner Meinung sind, ist überschaubar.
Womit wir schon beim Hamburger Abendblatt wären, für das 2013 auch ein besonderes Jahr ist. Ihre, unsere Zeitung wird 65. Das hätte früher nach Rente geklungen, nach einer alten Dame, die sich langsam zur Ruhe setzt. Vergessen Sie es! Vergessen Sie auch all das, was Sie gerade im vergangenen Jahr über die zurückgehende Bedeutung von Tageszeitungen gehört haben. Nun will ich nicht so tun, als gäbe es in der digitalen Zeit nicht besondere Herausforderungen für Verleger und Journalisten. Aber wahr ist eben auch, dass die Durchschlagskraft einer Zeitung wie des Abendblatts ungebrochen ist. Ein paar Beispiele:
- Das Abendblatt schreibt über einen schwer erkrankten Jungen aus der Ukraine, der in Deutschland operiert werden soll. Innerhalb einer Woche spenden die Leser für seine Behandlung 120.000 Euro.
- Das Abendblatt berichtet über zu niedrige Löhne bei Firmen, an denen die Stadt Hamburg beteiligt ist. Wenige Wochen nach Erscheinen des Textes gilt für die meisten der Betroffenen Mindestlohn.
- Das Abendblatt stellt alle Stadtteile in der längsten Serie seiner Geschichte vor. Das Buch dazu wird 2000 Seiten dick und verkauft sich kurz nach Erscheinen mehr als 15.000 Mal.
- Das Abendblatt testet und bewertet alle 8100 Straßen der Stadt, und Zehntausende Hamburger machen mit. 2013 folgt der nächste Schritt: Künftig müssen Sie auf abendblatt.de nur den Namen Ihrer Straße eingeben und erfahren dort alles über Ihr direktes Umfeld.
- Das Abendblatt berichtet im Frühjahr über die Leiterin eines Reisebüros, die Pullover - Achtung! - für von Ölverschmutzungen bedrohte Pinguine in Australien strickt und Mitstreiter sucht. Im Dezember werden 42.000 Pullover ans andere Ende der Welt gebracht...
Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Es gibt kein Problem, dass unsere Leser nicht lösen können. Die Leser waren und sind es, die aus dem Abendblatt in den vergangenen 65 Jahren etwas Besonderes gemacht haben. Nicht, weil es so viele sind, aktuell rund eine Million. Nein, wichtiger ist, was sich hinter dieser Zahl versteckt: Interessierte, engagierte und hilfsbereite Menschen, denen Hamburg und die Metropolregion wirklich am Herzen liegen.
Wie sehr, zeigt mein letztes Beispiel: Im Sommer forderten wir die Leser dazu auf, einen Fragebogen zur Zukunft der Stadt auszufüllen, und ich versprach der Redaktion unvorsichtigerweise, bei mehr als 500 zurückgeschickten Bögen die Auswertung selbst zu übernehmen. Es wurden 5700, ich brauchte eine Woche. Dafür kann ich den wichtigsten Wunsch jetzt in einem Satz formulieren: Hamburg soll mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, aber bitte nicht in die Höhe bauen und Grünflächen und Rotklinker-Architektur so erhalten, wie sie sind.
Sie sehen, lieber Herr Bürgermeister Scholz, es ist ganz einfach... Zumindest einfacher, als ein Konzerthaus zu bauen. Wissen Sie, was eine der meistgenannten Wünsche in Bezug auf die Elbphilharmonie in unserer Umfrage war? Na? Richtig: „Ich würde die Eröffnung gern noch erleben“, schrieben etliche Leser. 2013 will man sich ja nun endgültig einig werden, 2017, immerhin zur übernächsten Bundestagswahl, wäre es soweit. Und 2018 kann Sie das Abendblatt dann vielleicht zum 30. Neujahrsempfang in die fertige Elbphilharmonie einladen.
Jetzt genießen Sie erst einmal den 25. – den Blick zurück auf die ersten 24 erspare ich Ihnen. Das könnte ich sowieso nicht so gut wie meine Vorgänger es in der Sonnabendausgabe des Abendblatts getan haben. Lieber Herr Kruse, lieber Heyl, vielen Dank dafür. Schön, dass Sie da sind!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen ein wunderbares, erfülltes Hamburger Jahr 2013, in dem es jede Menge neue journalistische Formate und ungewöhnliche Ausgaben des Abendblatts geben wird. Lassen Sie sich überraschen!
Vielen Dank!