Berlin. Scholz ist mit vielen Herausforderungen in der neuen internationalen Unordnung konfrontiert. In der Koalition drohen erste Konflikte.

Den Start im Kanzleramt hat sich Olaf Scholz vermutlich etwas ruhiger vorgestellt. Für den neuen Regierungschef gibt es nicht eine Sekunde Schonfrist: Scholz beginnt die Kanzlerschaft in einem Krisenmodus, wie ihn bisher niemand in diesem Amt am Anfang erlebt hat, auch nicht die ewige Krisenkanzlerin Merkel. Das liegt nicht nur an der Corona-Pandemie, sondern mindestens ebenso an der angespannten internationalen Lage.

US-Präsident Biden hat erst gar nicht den offiziellen Amtswechsel abgewartet, um seine Emissäre wegen der Ukraine-Krise bei Scholz anklopfen zu lassen. Die neue Bundesregierung soll eine zentrale Rolle spielen beim Versuch, einen russischen Einmarsch in die Ukraine zu verhindern. Washington will die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als Teil einer westlichen Drohkulisse einsetzen, womit die Energieleitung gegen den ursprünglichen Willen Berlins endgültig ein politisches und nicht nur ein wirtschaftliches Projekt wäre.

Kanzler Olaf Scholz steht hinter Nord Stream 2

Für Scholz, der wie seine Vorgängerin hinter Nord Stream 2 steht, muss das kein Schaden sein. Denn das Aus für die Gaspipeline taugt als Drohung für den Fall einer russischen Invasion ja nur, wenn bei einer friedlichen Lösung der ordentliche Betrieb ins Auge gefasst wird – was Biden ebenso gern verhindert hätte wie die Grünen in der Ampelkoalition. Aber die glühenden Drähte zwischen Washington und Berlin zeigen: Die Welt wartet nicht, bis sich die neue Regierung eingearbeitet hat.

Scholz und seine Koalitionäre sind mit einer Vielzahl von Herausforderungen in der neuen internationalen Unordnung konfrontiert: russische Provokationen, Chinas neues Dominanzstreben, Regelverstöße von Autokraten, ein nach neuer Lastenteilung strebender US-Präsident – und mittendrin die Mittelmacht Deutschland in einem Europa, dessen Selbstbehauptungsversuche durch einen tiefen inneren Riss behindert werden.

Scholz bringt beste Voraussetzungen mit

Deutsche Außenpolitik wird da vor allem weiter Krisenmanagement betreiben müssen, den Fokus stark auf den europäischen Zusammenhalt gelegt. Scholz mit seiner langen Regierungserfahrung bringt beste Voraussetzungen mit. Wenn es ihm gelänge, im engeren Schulterschluss mit Frankreich die Europäische Union nach innen zu stabilisieren und nach außen souveräner zu machen, wäre viel erreicht.

Die angekündigte Bereitschaft, entschlossener voranzugehen in Europa, ist die große Stärke dieser Koalition. Ihre Schwäche ist der absehbare Konflikt über den außenpolitischen Stil Deutschlands. Dass Außenministerin Annalena Baerbock auf dem internationalen Parkett forscher auftreten will, ein härteres Auftreten gegenüber China oder Russland ankündigt, sorgt nicht nur dort für Irritationen.

Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik in Gefahr

Wenn die Zeichen nicht trügen, denkt Scholz allerdings ganz und gar nicht daran, Merkels Politik gegenüber Moskau oder Peking zu ändern. Die Frage ist nur, wie der grüne Koalitionspartner sich auf Dauer damit arrangiert, dass weiter ein pragmatischer Realismus die internationalen Beziehungen bestimmt. Eine drohende Mehrstimmigkeit, in der die Außenministerin für die Galerie Menschenrechte einklagt, während der Kanzler im Zweifel ganz realpolitisch Wirtschaftsinteressen den Vorrang gibt, mag innenpolitisch noch die verträglichste Lösung sein.

Der Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik würde das kaum guttun. Der Test wird nicht lange auf sich warten lassen, eine Schonfrist gibt es nicht: Die Koalition muss sich nicht nur in der Ukra­ine-Krise bewähren – sie muss auch sehr zügig die Frage beantworten, ob sie dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgt und einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking verhängt.