Hamburgs Altbürgermeister im Gespräch. Heute über den Flüchtlingsgipfel
Matthias Iken: Die Asylbewerberzahlen steigen wieder sprunghaft an, zugleich suchen viele Ukrainer Zuflucht in Deutschland. Droht eine Überlastung der Bundesrepublik?
Klaus von Dohnanyi: Überlastung haben wir schon. Und doch stehen wir erst am Beginn einer großen Migrationsbewegung in der Welt. Die Weltbevölkerung wächst; das Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd auf dem Globus nimmt zu; der Klimawandel wird diesen Abstand vergrößern; und dann die Kriege: Es wird immer schwerer werden, zwischen Kriegsflüchtlingen, politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden. Zugleich ist es unser nationales Interesse, insbesondere diejenigen aufzunehmen, die unsere Arbeitsmärkte fachgerecht auffüllen können. Es gleicht der Quadratur des Kreises.
Iken: Zwischen der FDP und den Grünen liegen Welten – liegen darin Chancen oder lähmen die Gegensätze die Koalition?
Dohnanyi: Ich fand den Parteienstreit ziemlich nebensächlich, es gab ja auch den erwarteten Kompromiss. Damit ist aber die Aufgabe der Politik noch nicht einmal angesprochen. Eine ungesteuerte Migration würde den europäischen Wohlstand und die demokratische Stabilität zerstören. Grenzschutz und Abschiebung haben sich aber bisher als wenig praktikabel erwiesen. Deutschland braucht ein europäisches Migrationskonzept, auch im westlichen Bündnis. Die USA dürfen sich dabei nicht weiter drücken. Und wir dürfen wohl auch nicht der Magnet mit den besten Asylbedingungen in der EU bleiben. Auch Aufnahmeentscheidungen außerhalb der EU-Grenzen können nicht tabu sein. Das alles wäre vielleicht zunächst im Rat zu sondieren, bevor sich das Kabinett erneut damit beschäftigt. Denn eine möglichst breite Unterstützung im Rat würde Deutschland die Entscheidungen erleichtern. Der schwierige Weg kann über Europa gebahnt werden. Dort wartet man auf Deutschland.
Iken: Wie schätzen Sie denn die Lösungen des Flüchtlingsgipfels ein?
Dohnanyi: Positiv ist, dass man die gemeinsame finanzielle Verantwortung von Bund und Ländern unterstrichen hat. Den Optimismus, dass mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern die Rückführung von Wirtschaftsflüchtlingen und abgelehnten Asylanten wesentlich verbessern werde, teile ich jedoch nicht. Und am wichtigsten: Eine
gerechtere Verteilung von Migranten in Europa wird nicht ohne effektiveren Grenzschutz und nicht ohne gemeinsame europäische Asylstandards möglich sein. Hier gab es keine wirklich weiterführenden Beschlüsse.