Hamburg. Zuhören ist Teil der Demokratie. Man darf, ja, man muss über den Inhalt streiten.
Früher wusste man, wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Heute müsste man den Satz ergänzen: Wer in Deutschland für den Frieden ist, benötigt ein dickes Fell. Die Brutalisierung der Debatte und die Militarisierung der Kultur mussten vor einigen Wochen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer erfahren – die beiden ernteten für ihr „Manifest für Frieden“ hauptsächlich Hass und Häme.
„Das Bullshit-Bingo der Briefschreiber“, höhnte die Kommentatorin auf t-online, die „FAZ“ machte eine „Querfront“ aus, die größte Kölner Zeitung sammelte fünf Gründe, Wagenknecht und Schwarzer nicht mehr zuzuhören.
Zuhören ist Teil der Demokratie
Bei aller berechtigten Kritik am Mitmischen der AfD und mancher kruder Russland-Nähe: Zuhören ist Teil der Demokratie. Man darf, ja, man muss über den Inhalt streiten. Unterzeichnet haben den Aufruf schließlich Politiker aller Parteien, Theologen, Künstler, Wissenschaftler und Unternehmer.
Insgesamt haben 777.000 Menschen das Manifest für Frieden unterschrieben. Darin steht ein Satz, den noch vor 13 Monaten wahrscheinlich alle abgenickt hätten: „Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“ Ist das so falsch?
In dieser Woche kassierten ehemalige Sozialdemokraten und Gewerkschafter Prügel für ihren Appell „Frieden schaffen!“. Sie zitieren darin Willy Brandt: „Es gilt, sich gegen den Strom zu stellen, wenn dieser wieder einmal ein falsches Bett zu graben versucht.“ Ist das wirklich alles so falsch? Mitunterzeichner sind der brave Ex-Finanzminister Hans Eichel und der EU-Kommissar Günter Verheugen, Wolfgang Thierse oder IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Sind das alles Verrückte?
Unverfroren, sich als Diplomat in eine deutsche Debatte einzumischen
Aber wie so oft dauerte es nicht lange, bis auch dieser Appell abgemeiert wurde, von Kommentatoren, Historikern und Politikern. Allen voran meldete sich der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev zu Wort: „Das ist ein purer Zynismus gegenüber den zahlreichen Opfern der russischen Aggression“, schäumte er.
Bei allem Verständnis für die bittere Lage der Ukraine wirkt es etwas unverfroren, sich als Diplomat derart in eine deutsche Debatte einzumischen. Nach Zahlen des Ukraine Support Trackers liegt Deutschland mit Zusagen in Höhe von 7,4 Milliarden für die Ukraine auf Rang 3 der größten Unterstützer. Kalkuliert man den Anteil an EU-Hilfen mit ein, liegt die Bundesrepublik sogar auf dem zweiten Rang hinter den USA. Gerade die humanitäre Hilfe ist unumstritten, wie auch die Willkommenskultur für mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine.
Deutschland ist solidarisch, aber Solidarität darf und muss kritisch sein. Es geht nicht um Geschichtsklitterung oder um das Gutheißen des russischen Angriffs, erst recht geht es nicht um das Abnicken der abscheulichen Kriegsverbrechen. Aber es geht um die Frage, ob und wie das Morden zu stoppen ist.
In der Zentrale der deutschen Diplomatie sitzt die „schrillste Trompete“ der Nato
Wer nur noch eine Seite sieht und versteht, fällt als Vermittler aus. Dieser wachsende Unwille, überhaupt über Wege zu einem Waffenstillstand nachzudenken, macht den Frieden weder wahrscheinlicher noch einfacher. Es darf auch verstören, dass ausgerechnet in der Zentrale der deutschen Diplomatie die „schrillste Trompete“ der Nato sitzt. So nannte die jüngst verstorbene Antje Vollmer ihre Parteifreundin Annalena Baerbock.
Befremdlich sind auch die Attacken der Falken auf die Tauben. Der ewige Vorwurf, die Friedensaktivisten hätten keinen Plan für einen Waffenstillstand, mag ja stimmen, aber welchen Plan haben bitte schön die Bellizisten? Immer mehr Waffen? Die ewige Eskalation? Wo führt sie hin? Wie wird sie enden?
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Es kann nicht angehen, dass die Kalten Krieger die lebenswichtige Debatte über Krieg und Frieden dominieren, ja schlimmer noch jedem Andersdenkenden über den Mund fahren. Der frühere SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans brachte es auf den Punkt: „So geht man nicht in einer Demokratie mit Menschen um, die nach Wegen suchen, dieses Töten zu beenden.“ Selbst in den Hochzeiten des Kalten Krieges, so scheint es mir, gingen wir verständnisvoller mit den Andersdenkenden um.
Vielleicht sollten wir alle noch einmal im Grundgesetz nachschlagen: Es enthält ein Friedensgebot, nämlich in der Präambel die Verpflichtung, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Gerade zu Ostern eine aktuelle Botschaft.