Ärger über Corona-Berichterstattung: Medien müssen sich Fehlern stellen.

Es kommt eher selten vor, dass Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) bundesweit Schlagzeilen schreibt: Die Erfolgsgeschichte in Bildungsrankings, bei denen Schüler der Hansestadt von den Abstiegsplätzen ins vordere Drittel aufgestiegen sind, wird oft nur am Rande erwähnt, ebenso, dass sich Rabe auf dem Schleudersitz des Schulpolitikers nunmehr seit 13 Jahren hält – und damit länger als jeder Amtskollege. Nun aber steht der Sozialdemokrat in der Kritik, weil er beim Landesfinale von „Jugend debattiert“ seinem Ärger über die Corona-Berichterstattung in deutschen Medien Luft gemacht hat.

Seine Wortwahl war dabei wenig diplomatisch, wahrscheinlich rechnete der SPD-Politiker auch nicht damit, dass seine Worte brühwarm dem „Spiegel“ übermittelt werden und das Magazin daraus eine Geschichte strickt: Rabe kritisierte ein „hingerotztes Gelaber“ in unseren Debatten – für einen ausgebildeten Deutschlehrer nicht unbedingt die feine englische Art. In der Sache aber lohnt es sich, über Rabes Kritik nachzudenken.

Medienschelte: Wo Hamburgs Schulsenator Rabe recht hat

Der Senator hat Schulschließungen während der Pandemie stets kritisch gesehen – drang aber angesichts einer geradezu hysterischen öffentlichen Debatte damit kaum durch. Studien, die den Sinn oder Unsinn dieser tiefgreifenden Maßnahmen belegen, wurde viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Kritik mag in der Tonalität falsch sein, der Inhalt aber trifft einen Kern: Mögen die Schulschließungen der ersten Wochen nachvollziehbar gewesen sein, weil niemand wusste, wie das Virus übertragen wird und wie verheerend es wirkt, waren die Schulschließungen im Winter 2020/21 eine skandalöse Fehlentscheidung. Damals warnten Kinderärzte, Epidemiologen und eben auch Rabe vor den verheerenden Folgen der wochenlangen Schulschließungen – und wurden ignoriert. In den meisten Medien reagierte ein anderer, apokalyptischer Ton, der eine Atmosphäre der Angst schuf. Und wenn Rabe vier Medien namentlich nennt – „Die Zeit“, den „Spiegel“, die „Süddeutsche“ und die „FAZ“ – liegt er damit nicht falsch. In der Aufzählung fehlen nur die öffentlich-rechtlichen Sender. Natürlich gab es überall dort auch andere Stimmen, aber sie gingen unter. Viele Virologen und Ärzte teilen diese fundamentale Kritik.

Reaktion auf die Rabe-Zitate weist leider in eine andere Richtung

Rabes Rundumschlag könnte die Chance bergen, zu hinterfragen, was in der Berichterstattung schiefgelaufen ist. Fehler werden überall gemacht, auch in Medien. Wer stets den Politikern Fehltritte und Fehleinschätzungen um die Ohren haut, sollte selbst eine Fehlerkultur entwickeln. Ein wenig Demut schadet nicht.

Die Reaktion auf die Rabe-Zitate hingegen weist leider in eine andere Richtung. Der „Tagesspiegel“ aus Berlin erkennt bei Rabe „rechtspopulistische Argumentationsmuster“, der „Spiegel“ sprach von einer „Nähe zu rechtspopulistischen Argumentationsmustern“. Das ist ein beliebtes Totschlagargument gegen jede Kritik – dem Absender irgendeine Nähe zu Rechtspopulisten anzudichten. Der positive Nebeneffekt: Dem Inhalt muss man sich dann nicht mehr stellen.

Rabes Kritik sollte Anlass zur Selbstkritik sein

Noch einen weiteren Punkt macht Ties Rabe: „Es macht mich schon nachdenklich, dass alle immer die gleiche Meinung haben“, sagte er bei der Schuldebatte und erntete Applaus. Rührt am Ende die viel zitierte Medienkrise nicht nur aus einem Versagen der alten Geschäftsmodelle, sondern auch aus einem intellektuellen Versagen? Wo ist die Kunst des Streitens, des Abwägens geblieben, die Lust am Widerspruch? Rabes Kritik sollte Anlass zur Selbstkritik sein. Es wird höchste Zeit.