Warum der Bundeskanzler im Ampelstreit so ruhig bleibt – und Auseinandersetzungen der Grünen mit der FDP sogar einkalkuliert
Es heißt, dass Olaf Scholz kein Hobby braucht, um runterzukommen, weil er gar nicht erst hochkommt. Der Bundeskanzler verliert nie die Ruhe, nicht in Telefonaten mit dem russischen Kriegstreiber Wladimir Putin und schon gar nicht, wenn sich seine beiden Koalitionspartner wieder einmal verzanken. Verglichen mit dem Krieg in der Ukraine sind die Streitereien in der Ampel-Regierung sowieso Kleinigkeiten, die vielleicht die Hauptstadt-Presse aufregen, Olaf Scholz aber überhaupt nicht. Wer sich unter einem Regierungschef jemanden vorstellt, der regelmäßig auf den Tisch haut und ein Machtwort nach dem anderen spricht, wird von dem Kanzler enttäuscht sein. So war Scholz nie, und so wird er nicht sein, weil diese Art der Führung nicht seinem Naturell entspricht und weil er fest davon überzeugt ist, dass sie sich schnell abnutzt.
Seine Strategie ist eine andere, und sie wird immer wieder Situationen wie in der vergangenen Woche provozieren. Scholz gibt seinen Ministerinnen und Ministern sehr viel Freiraum, sie sollen sich entfalten können und nicht das Gefühl haben, ständig im Schatten des Kanzlers zu stehen. Der mag Scheinwerferlicht und Fernsehkameras sowieso nicht besonders und teilt beides deshalb gern mit den Mitgliedern seiner Regierung. Scholz weiß: Nur wenn er den anderen die Möglichkeit gibt, glänzen zu können, werden sie nach der nächsten Bundestagswahl ein Interesse daran haben, mit ihm und seiner SPD weiterzumachen – und das ist sein Ziel.
Scholz plant für das Land und sich nicht vier, sondern acht Jahre im Voraus. Dafür braucht er sowohl die Grünen als auch die FDP, die zuweilen wie zwei Geschwister wirken, die der Vater immer wieder zu versöhnlichen Gesprächen an den Küchentisch bitten muss. Dass es regelmäßig zu Auseinandersetzungen kommt, hat Olaf Scholz einkalkuliert. Er kennt das selbst aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister, in der er nur mit den Grünen regierte und alle halbe Jahr erleben musste, wie einer seiner Senatoren sich über Entscheidungen des Chefs lauthals empörte.
Es gibt im engen Kreis des Kanzlers Regeln für solche Situationen: Scholz und seine Vertrauten haben sich vorgenommen, nie hysterisch zu werden, nie beleidigt zu sein. Und die Ministerinnen und Minister – also auch Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner – können sich darauf verlassen, dass ihr Chef sie niemals öffentlich kritisieren und sich immer hinter sie stellen wird. Auch das gehört zu seinem Führungsstil, weil Scholz begriffen hat, dass es eine Sache gibt, die Wählerinnen und Wähler überhaupt nicht mögen: nämlich Parteien oder Regierungen, die nicht geschlossen und in den Sachfragen einig auftreten.
Die SPD hat durch den Sieg bei der Bundestagswahl gelernt, wie wichtig genau diese Geschlossenheit und Einigkeit sind, und macht nicht wie früher häufiger den Fehler, dem eigenen Kanzler in den Rücken zu fallen. Die Grünen haben in diesem Bereich noch Nachholbedarf, vielleicht, weil insbesondere Robert Habeck die Regierungserfahrung auf Bundesebene fehlt. So charmant es bisweilen sein mag, mit ihm einen Politiker im Kabinett zu haben, dem man beim Denken, Zweifeln und Hadern (mit den anderen) zusehen und zuhören kann, so wenig hilfreich ist es, wenn den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck vermittelt wird, dass die Regierung selbst nicht so richtig weiß, was sie will.
Wahrscheinlich hat Olaf Scholz recht, wenn er sagt, dass Gefühle in der Politik nichts zu suchen haben. Jede Ministerin und jeder Minister darf sich so viel aufregen, wie er oder sie will, auch in Diskussionen mit den Koalitionspartnern den Streit suchen. Aber alle Beteiligten müssen sich bewusst sein, dass es jetzt vier Jahre lang nicht um sie und ihre Parteien, sondern um das Land geht. Und dass dieses Land einen Anspruch auf eine Regierung hat, die in Ruhe das tut, was man von jeder Regierung erwarten darf: ordentlich regieren.