Wenn Verkehrspolitik ideologisch wird, wird es politisch gefährlich.
Streitpunkte im Hamburger Bündnis aus Sozialdemokraten und Grünen gibt es derzeit viele – ein weiterer dürfte mit der Berlin-Wahl hinzugekommen sein. Denn die Klatsche für die Sozialdemokraten hat viel mit der Verkehrspolitik in der Hauptstadt zu tun. Die Arbeitsteilung dort wird folgendermaßen wahrgenommen: Die Grünen lassen sich von ihren Wählern für die Verkehrswende und Sperrungen feiern – die Sozialdemokraten werden gleichzeitig von ihrem Stammpublikum abgestraft. Neu ist diese Entwicklung nicht: Schon seit drei Jahrzehnten treffen zwei sehr unterschiedliche Konzepte in der Verkehrspolitik aufeinander. Gerade da werden Kompromisse nötig.
Hamburg hat es in der Vergangenheit relativ gut vermocht, die Gegensätze nicht zu sehr aufbrechen zu lassen. In den ersten Jahren von Rot-Grün zwischen 1997 und 2001 ging es eher um Feigenblatt-Politik, nach 2015 zunächst um einen Ausbau der Fahrradwege. Seit der Grüne Anjes Tjarks vor drei Jahren Senator geworden ist, geht es aber um einen tiefgreifenden Wandel: Die Verkehrswende trägt ihn im Namen. Sie wird ohne Opfer und Zumutungen nicht funktionieren.
Die Verkehrswende selbst ist für eine wachsende Stadt richtig: Weil der Straßenraum nicht mitwachsen kann, muss die Fläche anders verteilt werden. Breite Trassen und üppige Parkstreifen sind weder zeitgemäß, noch klimafreundlich noch schaffen sie ein lebenswertes Umfeld. Zudem wird sich das Problem der Autofixierung in den kommenden 20 Jahren langsam herauswachsen. Junge nutzen andere Verkehrsmittel als ältere Bürger. Und doch sollte man nicht mit Gewalt in gewachsene Strukturen eingreifen. Wer jede Haltebucht vor dem Bäcker zubaut, ganze Einkaufsstraßen verkehrsberuhigt oder Parkstreifen etwa bei Krankenhäusern wegnimmt, handelt fahrlässig. Hier geht es nicht nur um die Verkehrswende, damit trifft man Einzelhändler oder Institutionen heftig, bisweilen sogar in ihrer Existenz. Besonders bitter wird es für die Betroffenen, wenn sie von einer neuen Politik aus der Zeitung erfahren.
Eine Verkehrswende, die funktionieren soll, muss Mehrheiten hinter sich bringen
Eine Verkehrswende, die funktionieren soll, muss Mehrheiten hinter sich bringen. Denn die Wahl, welchen Verkehrsträger man benutzt, bleibt eine individuelle Entscheidung. Je attraktiver die Alternativen sind, desto eher bleibt das Auto stehen: Sind die Radwege gut ausgebaut und sicher, fällt der Umstieg leichter. Fahren Busse und Bahnen zuverlässig, verzichten die Bürger auf ihr Fahrzeug. Das Angebot muss stimmen. Immerhin: In den vergangenen Jahren hat sich im Nahverkehr vieles zum Besseren gewendet.
Um den nötigen Rückhalt für die Verkehrswende zu bekommen, ist Transparenz wichtig – Kopenhagen ist beispielsweise deshalb zur Fahrradstadt geworden, weil schon seit den 80er-Jahren sukzessiv jedes Jahr drei Prozent der Parkplätze im öffentlichen Raum abgeschafft wurden. Das war keine Revolution, sondern ein Reformprozess. Viele Kopenhagener radeln heute nicht, weil sie Aktivisten sind, sondern weil es einfach, logisch und attraktiv ist.
Ideologie hilft selten weiter – die fast sektenhafte Autoaustreibung mancher Bezirkspolitiker weckt nur Widerstände und Verdruss. In den Walddörfern oder den Vier- und Marschlanden fehlen Alternativen zum Auto, Ältere oder Behinderte sind oft auf ihr Fahrzeug angewiesen. Verkehrspolitik benötigt also Augenmaß. Gerade in der SPD wächst diese Einsicht. Immerhin: Berliner Verhältnisse drohen in Hamburg nicht. Denn Anjes Tjarks ist kein Ideologe, sondern ein Verkehrspolitiker, der mehr richtig macht, als seine Gegner ihm vorwerfen.