Hamburgs Bundesliga-Basketballer haben Wettbewerbsnachteile, daher ist die schwache Saison keine Schande.
Marvin Willoughby versuchte sich gar nicht erst an einer Augenwischerei. Der Gründer, Geschäftsführer und Sportdirektor der Veolia Towers Hamburg kam direkt zum Punkt: „Ich sitze hier nicht wie ein happy Camper“, was angesichts des rustikalen Ambientes im VIP-Bereich der Wilhelmsburger edel-optics.de Arena, in die der Basketball-Bundesligist zur Einordnung der Hinrunde geladen hatte, auch niemand angenommen hätte.
Nur zehn von 31 Pflichtspielen in Liga, EuroCup und nationalem Pokal haben die Towers gewonnen. Angesichts der jüngsten sportlichen Historie eine massive Enttäuschung. „Die Zahlen sprechen für sich. Sie gehen auf meine Fehler zurück, ich habe die Situation zu verantworten“, sagte Willoughby. Diese Einsicht ist löblich. Der nächste Schritt wäre es, zumindest einen Gedanken über die Installation eines Sportdirektors aufzubringen.
Von Anbeginn des Wilhelmsburger Clubs übernimmt Willoughby diese Tätigkeit parallel zu all seinen weiteren. Dafür, dass er bis heute daran festhält, gibt es durchaus nachvollziehbare Gründe. Einerseits der zutiefst menschliche Zug, das „eigene Baby“ nicht in fremde Hände zu legen. Andererseits evidenzbasierte. Einen Verein, der erst vor zehn Jahren gegründet wurde, binnen kürzester Zeit in die Bundesliga und den internationalen Wettbewerb zu führen können sich wie viele Manager im deutschen Profisport außerhalb Leipzigs auf die Fahnen schreiben? Genau, keine.
Veolia Towers Hamburg müssen Lehren aus ihrer Krise ziehen
Das Problem: Eine Liga, die jährlich einen Umsatz von rund 120 Millionen Euro erwirtschaftet und in der ausschließlich Vollprofis spielen, verlangt vollumfängliche Hingabe auf der Position des
Kaderplaners. Die Aufgabe in Doppelfunktion auszuführen ist eines ambitionierten Erstligisten nicht würdig und ein gravierender Wettbewerbsnachteil. Und das in einer Umgebung, die ohnehin voll von Wettbewerbsnachteilen für die Towers ist. Der Spielraum für Fehler ist daher gering.
Seit die Wilhelmsburger 2019 in die Beletage aufstiegen, war ihnen keine einzige normale Saison vergönnt. Die erste wurde coronabedingt vorzeitig abgebrochen, das rettete den letztplatzierten Hamburgern wahrscheinlich die Ligazugehörigkeit. Es folgten zwei Jahre unter Einschränkungen und nun eine Spielzeit, in der der junge Club unter Long Covid leidet. Denn im Gegensatz zu den anderen Wettbewerbern, die bereits vorher in der Bundesliga gespielt haben, bemaßen sich die an die Towers ausgezahlten Corona-Hilfen an den Einnahmen des letzten nicht-pandemischen Jahres 2019 – in dem diese in der Zweiten Liga wesentlich geringer waren. Hinzu kommen die explodierenden Baukosten beim Trainingszentrum in Harburg und dem Quartierssporthaus in Wilhelmsburg.
Trotz neuen Namenssponsors und eines auf gut 5,5 Millionen gestiegenen Gesamtbudgets muss der Club sparen. Herausgekommen sind ein mit zehn Profis nicht tief und in der Spitze zu schwach besetzter Kader; ein vorzeitiger Trainerwechsel vom erfahrenen Raoul Korner auf den 35 Jahre alten Benka Barloschky, dessen Ansprache zum Team laut Willoughby direkter sei; zudem die Gefahr, in den Abstiegsstrudel zu geraten und den europäischen Wettbewerb kommende Saison zu verpassen, was die Towers für Topspieler unattraktiv machen würde.
Ziehen die Towers weiter die richtigen Schlüsse, kann sich Willoughbys Wunsch erfüllen
All das – vorausgesetzt, der Klassenerhalt gelingt – ist keine Schande, solange Willoughby und seine Mitentscheider die richtigen Lehren daraus ziehen. Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen, weiter und konkreter in die Strukturen, bei denen die arrivierteren Clubs einen jahrzehntelangen Vorsprung besitzen, investieren, die Vermarktung ausbauen und die Angestellten auf sämtlichen Ebenen angemessen (und zum Teil angemessener) bezahlen, um qualifizierte Arbeitskräfte nachhaltig zu binden.
Die Anzeichen sind vielversprechend. Willoughby stellte mit Fabian Villmeter immerhin ein Bindeglied zwischen Jugend und Profis ein, will im Bereich der Kommunikation und Infrastruktur investieren und kurzfristig die Mannschaft für den Abstiegskampf verstärken.
Ziehen die Towers weiter die richtigen Schlüsse, kann sich Willoughbys Wunsch erfüllen: „Dass ich mich nächste Saison langweile, weil es so wenig zu tun gibt.“ Mit anderen Worten: wenn er Zeit für einen glücklichen Campingurlaub hätte.