Der bisherige niedersächsische Innenminister muss die komplette Neuausrichtung der Bundeswehr anleiten: eine Mammutaufgabe.
Mit der Ernennung von Boris Pistorius zum Verteidigungsminister ist Kanzler Olaf Scholz ein Coup gelungen. Wer Pistorius’ Berufung kritisiert, muss sichtlich nach Gründen suchen. Das Argument, er sei kein Militärfachmann, ist eher schwach. Der Verteidigungsminister ist nicht nur Oberbefehlshaber der Bundeswehr, sondern auch und vor allem Politiker und Behördenmanager.
Natürlich wird Pistorius mit Blick auf die Ukraine auch Kriegsminister. Im Schatten des furchtbaren russischen Angriffskrieges in der Ukraine muss er Aufgaben bewältigen, die weit über militärische Strategien hinausgehen. Er übernimmt eine Bundeswehr, die sich in der Diskussion über Waffenlieferungen selbst das Zeugnis ausgestellt hat, „blank“ zu sein.
Boris Pistorius hat eine Mammutaufgabe vor sich
Pistorius übernimmt ein bürokratisch aufgeblähtes Beschaffungswesen, das peinliche Schlagzeilen am laufenden Band produziert – von Hubschraubern, die nicht fliegen, von U-Booten, die nicht tauchen, von Gewehren, die nicht gerade schießen, zuletzt von Panzern, deren Probefahrt in einer Pannenserie endet. Er muss die Attraktivität der Truppe als Arbeitgeber sichern – in Zeiten, in denen seit Gründung der Bundeswehr eine Verpflichtung zum Dienst an der Waffe noch nie so stark mit realer Kriegsgefahr verknüpft war.
Nach jahrelangem Abrüstungskurs bedeutet das eine komplette Neuausrichtung. Pistorius ist bekannt für Konsequenz, klare Linien und ein dickes Fell im Umgang mit politischen Gegnern. Als langjähriger Innenminister in Niedersachsen weiß er, wie Ministerien und Behörden ticken. Und: Er braucht das Amt nicht, um sich zu profilieren. Anders als bei seiner gescheiterten Vorgängerin Christine Lambrecht ist seine Ernennung kein Resultat von Parteiproporz, Quotenregelungen und Postengeschacher. Das stärkt ihn für die Mammutaufgabe ...
Eine Schonfrist bekommt der Verteidigungsminister nicht
Pistorius muss nun beweisen, dass er den Vorschusslorbeeren gerecht wird. Eine Schonfrist hat er nicht. Die inneren Probleme der Bundeswehr und der Verteidigungspolitik sind eng verknüpft mit der drängenden Frage, wie der Ukraine militärisch geholfen werden kann – mit einsatzfähigen Waffen, mit Nachschub, mit Ausbildung. Aber auch mit militärischer Stärke Deutschlands im Nato-Bündnis. Kanzler Scholz wird seinen Weggefährten auch deshalb in das Amt berufen haben, weil er sich Unterstützung bei seiner abwägenden Strategie mit Blick auf deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine erhofft.
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Die CDU hat – mit Schützenhilfe der Regierungspartner FDP und Grüne – den Kanzler und seine schwache Verteidigungsministerin viel zu lange vor sich hergetrieben. In der Debatte bringt das Aufmerksamkeit, besonders aus der bequemen Position der Opposition heraus. In der Verantwortung für die Folgen solcher Entscheidungen geht es aber um mehr: Die Lieferung schwerer Offensivwaffen in ein Kriegsgebiet eignet sich nicht für Aktionismus und Symbolpolitik und muss mit Bedacht entschieden werden.
Boris Pistorius steht unter hohem Druck und muss Verantwortung übernehmen
Neben der „Zeitenwende“ für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik liegt hier die zweite immense Herausforderung für den neuen Minister: Wie kann die Forderung der aufopferungsvoll um Freiheit und Überleben kämpfenden Ukraine nach militärischer Unterstützung in Einklang gebracht werden mit der Erfordernis, dass Panzer und Raketenwerfer nicht nur geliefert, sondern auch bedient, munitioniert, gewartet, repariert und sinnvoll im Verbund mit anderen Waffensystemen eingesetzt werden müssen? Welche Ziele verfolgt die Ukraine genau mit diesen Waffen? Und wie gelingt es, hier die heikle Grenze zwischen militärischer Unterstützung der Ukraine und eigenem Kriegseintritt weiter zu wahren?
Unter hohem politischen Druck muss sich Boris Pistorius nun diesen Fragen und der Verantwortung stellen, die seine Vorgängerin nie glaubhaft übernommen hat.
Der Autor ist Chefredakteur der "Nordwest-Zeitung" aus Oldenburg.