Auch neugierig auf das Wohnen der anderen? Dann auf zur nächsten Wohnungsbesichtigung – oder zu Netflix.

Als ich neulich einen Roman las, fühlte ich mich ertappt. Die Protagonistin in Dana Spiottas „Unberechenbar“ schildert, wie sie nur so zum Zeitvertreib zu öffentlichen Besichtigungen geht. „Sie wusste, auch die meisten anderen Besucher dort hatten keinesfalls die Absicht, eine Immobilie zu erwerben, sie wollten lediglich ein bisschen im Leben anderer Leute herumschnüffeln oder Grundstückspreise vergleichen oder sich in einem frischen architektonischen Rahmen ein anderes Leben vorstellen.“

Nun fehlt mir die Zeit, um mir diese auf öffentlichen Besichtigungen vertreiben zu können, aber ich kann den Impuls sehr gut nachempfinden. So frustrierend das Immobiliengeschäft in Hamburg ist, so faszinierend sind die damit verbundenen Einblicke in das Zuhause fremder Menschen. Ein „intimes Erlebnis“ nennt es Spiotta, eine „seltene Gelegenheit, ins Innere zu blicken“. Das ist in der Preiskategorie, in der Normalsterbliche hier suchen können, zwar nicht immer der allerschönste Einblick, aber gerade das macht es so spannend. Oder bringt zumindest die Erkenntnis, dass man zwar kein Einfamilienhaus, aber wenigstens Einrichtungsgeschmack besitzt.

Zum Glück kann man die Neugierde auf andere vier Wände heute sogar vom eigenen Sofa aus befriedigen

Mir geht es dabei ausdrücklich nicht um das Leben der anderen, sondern allein um das Wohnen. Also nicht um die Frage danach, ob die Hausherren viel Zeit auf dem Sofa verbringen, sondern wie schön das Zimmer ohne die massive schwarze Ledergarnitur aussehen könnte. Oder wie toll der große Holztisch im Essbereich in Kombination mit den Wishbone-Stühlen von Carl Hansen aussieht. Oder noch aussehen könnte, wenn man die Wand zur Küche einreißt.

Zum Glück kann man die Neugierde auf andere vier Wände heute sogar vom eigenen Sofa aus befriedigen. Auf Instagram gibt es unzählige Accounts, auf denen man fremden Menschen beim Wohnen zusehen kann. In welcher Farbe wird das Kinderzimmer gestrichen? Soll das Bett am Fenster oder lieber gegenüber stehen? Woher sind die eben beim Frühstück benutzten Tassen und Teller? Solche Fragen interessieren tagtäglich Zehntausende „Follower“.

Eine Influencerin aus Hamburg nimmt ihre Gefolgschaft gerade dabei mit, wie sie eine Ferienwohnung auf Fehmarn saniert. Jedes noch so kleine Detail – vom Bodenbelag über die Küchenfliesen bis zur richtigen Position des Badezimmerspiegels – wird geteilt und begierig verfolgt. Sollte die Verbindungstür vom Wohn- zum Schlafzimmer geschlossen werden oder nicht? Gretchenfrage für eine ganze Community.

Auf Netflix gibt es mittlerweile Dutzende Serien über das Vermitteln von Luxusimmobilien

Die Steigerung davon ist dann, nicht nur Menschen beim Wohnen zuzugucken, sondern anderen Wohnungssuchenden bei der Wohnungssuche. Erinnern Sie sich noch an „Mieten, kaufen, wohnen“, eine Pseudo-Doku-Serie, die acht Jahre lang erfolgreich auf Vox lief und in der Makler Wohnungen und Häuser an wohl meist gespielte Kunden vermakelt haben? Ob drei Zimmer in Köln oder Villa in München, in Immobilien gucken zu können reizte die Zuschauer.

Das heutige Angebot ist etwas glamouröser, bedient aber weiterhin dieselbe Sehnsucht. Auf Netflix beispielsweise gibt es mittlerweile Dutzende Serien über das Vermitteln von Luxusimmobilien. Allen voran „Selling Sunset“, wo es – neben dem Zickenkrieg der vornehmlich weiblichen Maklerinnen – um millionenschwere Anwesen in Los Angeles und das damit verbundene Wohnen der Superreichen geht. Wie erfolgreich dieses Setting ist, zeigt sich beim Blick auf das weitere Angebot des Streamingdienstes in dieser Kategorie: „Selling the OC“, „Selling Tampa“, „Buying Beverly Hills“, „Buy my House“, „Million Dollar Beach House“, „L’Agence, das Luxusimmobiliengeschäft einer Pariser Familie“ – suchen Sie sich etwas aus.

Dabei ist es gar kein Neid, der einen hingucken lässt (oder brauchen Sie sechs Badezimmer, einen Minigolfplatz auf dem Dach und ein Weinregal, das sich auf Knopfdruck aus dem Boden fahren lässt?). Dieses Wohnen ist nicht nur geografisch meilenweit entfernt vom eigenen Leben – und gerade deshalb perfekt für Hamburger Wohnungssuchende. Die kennen unrealistische Immobilienträume schließlich aus dem realen Leben.