Hamburgs Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Matthias Iken. Heute über Kant, Krieg und Frieden.

Matthias Iken: Das Kriegsjahr 2022 neigt sich dem Ende entgegen und viele Menschen beschleicht ein Gefühl der Ratlosigkeit, dass die Menschheit schon einmal weiter war als heute ...


Klaus von Dohnanyi:
Die Weihnachtskerzen brannten und wir hörten Texte aus der Bibel, da schreckte ich auf, als das Wort Syrien fiel: Hatten wir das Schicksal dieses Landes schon wieder vergessen, weil uns der Ukrainekrieg so nahekam? Wir werden die Gewalt nicht aus der Natur des Lebens verdrängen können. Sogar die schweigsame Eiche überwächst die schöne Birke, nimmt ihr das Licht und lässt sie verkümmern.

Wir Menschen allerdings sollten wissen, dass wir ein gemeinsames Leben auf dieser Erde organisieren müssen und dass kein Krieg unvermeidlich ist. Was nämlich kein anderes Lebewesen auf Erden kann, das können wir: Wir können begreifen, dass immer auch der Andere Rechte und Interessen hat. Nur so geht Frieden, nur so können wir ihn halten.


Iken:
Die Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine fallen sehr unterschiedlich aus – ist die Welt gespaltener als wir dachten?


Dohnanyi:
An diesen stillen Tagen zwischen Weihnachten und dem Beginn des Neuen Jahres möchte ich kein Wort darüber sprechen, warum es zum Krieg kam. Darüber gibt es in der Welt sehr verschiedene Meinungen, auch zwischen den beiden Bruderkriegsparteien. Nun schalt kürzlich ein deutsches Wochenblatt einen führenden Politiker in Berlin, weil dieser nach Möglichkeiten der Verhandlung und Diplomatie sucht.

Da blieb mir doch die Spucke weg. Mensch zu sein, heißt doch, in der Gewalt nur die ultima ratio, das letzte Mittel zu sehen. Wer Frieden will, muss reden, muss den Anderen verstehen, muss bereit sein zu verhandeln. All das ist alternativlos!


Iken:
Wie lässt sich die Kunst des Zusammenlebens auf dieser Erde verbessern?


Dohnanyi:
Darüber haben Theologen, Philosophen und Politiker seit Jahrhunderten nachgedacht, und ich meine, nicht vergeblich. Unser großer Immanuel Kant verfasste vor etwa 225 Jahren den weltberühmten philosophischen Entwurf: Zum Ewigen Frieden. Ein pragmatischer Versuch, Verhaltensregeln für den Frieden zu beschreiben. In einem „Ersten Zusatz“ meint er, nicht Triebfedern der „Moralität“ machten den Frieden sicherer, sondern der „wechselseitige Eigennutz“: Es sei „der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann.“

Sind gegenseitige wirtschaftliche „Abhängigkeiten“ also auch Friedensfundamente? In der Tat, wir waren schon einmal weiter auf dem Wege zum Frieden.