Hamburg. Die Visualisierungen von Neubauten haben meist nicht viel mit der Realität zu tun. Also: Gardinen zu und durch.

Die Ersten sind also eingezogen. Und haben sogar schon Weihnachtssterne in die Fenster gehängt. Schade nur, dass sie selbst gar nichts davon haben. Denn die Bewohner des Erdgeschosses im gerade fertiggestellten Neubau halten die Vorhänge fest verschlossen. Rund um die Uhr. Verständlich, schließlich führt direkt vor den Fenstern der Gehweg vorbei. Die Passanten laufen also fast gegen die Sofakante. „Bodentiefe Fenster sorgen für lichtdurchflutete Wohnräume.“ Nun ja.

Die Realität sieht meistens anders aus als die Hochglanz-Visualisierungen der Bauträger. Auf dem Papier scheint immer die Sonne, sind die Gärten grün und die Hecken üppig, die Räume hell und minimal skandinavisch eingerichtet, die eingezeichneten Personen lachen, Kinder spielen vergnügt in der aufgeräumten Sandkiste, die Eltern stehen mit einem Drink in der Hand auf ihrer nagelneuen Terrasse.

Immobilien zwischen Visualisierung und Realität

Stellen wir uns doch einmal mit diesem Bild vor das fertige Werk und lassen die Zeichnung sinken. Was sehen wir da? Grauer Himmel, schattige Balkone, statt saftig grüner Rasenflächen noch düstere, schwarze Erde, die regennassen Spielgeräte mit Flatterband versehen, anstelle von formschönen Teakholz-Liegen stapeln sich Gartenstühle, Grill, Fußballtore, Fahrräder und leere Kartons auf den Terrassen. Ist das dasselbe Bauvorhaben?

Natürlich muss zum Einzug nicht alles perfekt sein, im Dezember kann man keine blühenden Beete erwarten. Aber dass es sich bei dem „großzügigen privaten Garten“ um einen 1,5 Meter breiten Streifen zwischen Hausfassade und Bürgersteig handelt, war auf den Visualisierungen komischerweise nicht zu erkennen.

Der Garagenhof, auf den die neue Hausgemeinschaft ihren „Blick ins Grüne“ hat, ebenfalls nicht. Und was auf diesen Zeichnungen grundsätzlich fehlt, sind die Mülltonnen. Dafür sind diese vor Ort nun nicht mehr zu übersehen. Und zwar von jeder Wohnung aus.

Schon die bloße Ansicht der Fassaden führt in die Irre

Überhaupt, die Wohnungen. Was man durch die nicht abgehängte Terrassenfront, die von der Straße ebenfalls sehr gut einsehbar ist, erkennen kann, ähnelt der Präsentation auf der Internetplattform, sagen wir mal: rein gar nicht. Wie sollte es auch. Menschen besitzen nun mal mehr als einen Esstisch, eine hellgraue Sofalounge und eine Blumenvase.

Sie haben Schränke und Kommoden und Sessel und Hochstühle und Krabbeldecken und Spielzeug. Es soll sogar Leute geben, die haben Bücherregale, bis oben hin voll und nicht nach Farben sortiert. Auf den Illustrationen hat all das keinen Platz – in die Wohnungen muss es trotzdem irgendwie passen.

Oft führt aber auch schon die bloße Ansicht der Fassaden in die Irre. Was auf der Zeichnung strahlend weiß verputzt ist, sieht nach spätestens einem halben Jahr aus wie ein altes, weißes T-Shirt – vergilbt, mit Grauschleier und Schmutzspuren an den Rändern, die auch bei 90 Grad nicht mehr rausgehen.

Eine Kreuzung ohne Autos?

Auch schön, zumindest in den ersten vier Wochen, sind Fensterläden aus Holz. Architektonisch natürlich ein „Highlight“, an einem Mehrfamilienhaus in Wahrheit nach kürzester Zeit vergilbt, vergraut und vermoost. Erstaunlich, dass so ein Nachher-Bild nie in den Referenzen der Bauträger auftaucht.

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Bei so viel heiler Neubauwelt überrascht die gezeichnete Ansicht eines anderen Projekts mit 45 „exklusiven“ Eigentumswohnungen umso mehr: Darauf ist nämlich tatsächlich die Kreuzung inklusive vierspuriger Straße zu sehen, an der das Mehrfamilienhaus entsteht. Zwar sind die Straßen bis auf zwei weit entfernt eingezeichnete Autos komplett leer, so wie es vielleicht um drei Uhr nachts mal aussehen dürfte, aber immerhin wird hier ehrlich gezeigt, wo die künftigen Bewohner in der Realität wohnen werden.

Allerdings findet man diese Visualisierung nur auf den Seiten von allgemeinen Immobilienportalen. Auf der offiziellen Projekt-Homepage ist dieses Bild nur nach mehreren Klicks zu finden, und dann auch nur ein Ausschnitt davon – auf dem die Straßen abgeschnitten sind. Aber das war sicher keine Absicht, wird einfach am Format der Bildergalerie gelegen haben. Das Titelbild zeigt vermutlich eher zufällig den Innenhof. In dem die Sonne auf eine an grünen Bäumen aufgehängte Hängematte scheint.