Hamburg. ARD und ZDF müssen radikal umbauen, damit sie noch eine Zukunft haben – und ihr Legitimationsproblem lösen.

Das könnte der Anfang vom Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gewesen sein, wie wir ihn in Deutschland kennen. Dass Tom Buhrow in einer Grundsatzrede vor dem Hamburger Übersee-Club, gezielt flankiert von einer Veröffentlichung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das System von ARD und ZDF so infrage stellt, als gehöre er nicht zu seinen wichtigsten Protagonisten, sondern zu den größten Kritikern, ist erstaunlich und verdient Respekt.

Buhrow hat zwar mehrfach betont, dass er nur für sich spreche und etwas tue, was in medienpolitischen Debatten normalerweise schwierig sei, nämlich auf niemanden und nichts Rücksicht zu nehmen, auch nicht auf Tabus; aber tatsächlich ist er eben nicht nur der ehemalige „Tagesthemen“-Moderator und Journalist, sondern auch der aktuelle Intendant des Westdeutschen Rundfunks und Vorsitzender der ARD.

Tom Buhrow ist ein Risiko eingegangen

Und natürlich weiß er, dass kein Satz, den er zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sagt, sich von diesen Ämtern trennen lässt. Im Übrigen ist es auch schwer vorstellbar, dass er vor seinem Auftritt in Hamburg nicht mit dem einen oder anderen Kollegen darüber gesprochen hat, was er vorhat.

So oder so ist Tom Buhrow volles Risiko gegangen, was angesichts der Situation, in der sich die ARD nach den Vorfällen vor allem beim RBB und (etwas weniger stark ausgeprägt) beim NDR befindet, nicht nur mutig, sondern auch richtig ist. Dem WDR-Chef ist die Flucht nach vorn gelungen, und er weiß, dass man in eine bessere Zukunft nicht mit „runden Tischen“ oder „Reformen“ kommen wird, auch wenn die Begriffe in seiner Rede auftauchen.

Neuanfang muss mehr Revolution als Reform sein

Das System insbesondere der ARD mit ihren Aufsichtsgremien, mit ihren großen und kleinen Anstalten, mit unzähligen Sendern und Doppelstrukturen und mit künftig schwer finanzierbaren Pensionsvorgaben ist so komplex und gewaltig geworden, dass eine Erneuerung in den bestehenden Strukturen unvorstellbar scheint.

Auch deshalb spricht Tom Buhrow von einem Neuanfang, und der muss mehr Revolution als Reform sein. Man spürt, dass der ARD-Vorsitzende das verstanden hat, wenn er nicht davor zurückschreckt, sowohl eine Fusion von ARD und ZDF ins Spiel zu bringen als auch mit den besten Inhalten aus beiden Sendern etwas ganz anderes zu schaffen.

ARD und ZDF müssen Legitimationsproblem lösen

Damit dürften selbst die härtesten Kritiker des ÖRR nicht gerechnet haben. Im Konflikt mit ihnen verschafft Buhrows Rede der ARD etwas Luft. Wenn die anderen Intendanten ihrem Vorsitzenden jetzt schnell folgen, dann haben sie eine gute Chance, den Sender so (radikal) umzubauen, dass er eine Zukunft hat, die man zuletzt stark schwinden sah. Wie stark wurde deutlich; als Buhrow sagte, dass er fest davon überzeugt sei, dass Deutschland den ÖRR in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang haben wolle wie im Moment.

Es ist dieses Akzeptanz- und Legitimationsproblem, das die ARD und, mitgehangen, mitgefangen, auch das ZDF lösen müssen. Und das geht nur, wenn man den Abgrund, in den das System durch die jüngsten Skandale geblickt hat, als letzte Chance begreift, sich zu erneuern. Wie das geht, hat Tom Buhrow eindrucksvoll beschrieben, und dass es nur besser werden kann, dürfte auch allen klar sein.

Der ARD hilft keine Reform

Der entscheidende Widerspruch, der gelöst werden muss, ist dabei der zwischen dem nach wie vor exzellenten Journalismus auf der einen und den entstandenen Behördenstrukturen auf der anderen Seite. Es passt nicht zusammen, wenn eine Organisation den Staat und seine Institutionen kontrollieren soll, eben jenen Institutionen aber immer ähnlicher wird.

Auch deshalb hilft der ARD keine Reform, auch deshalb braucht sie eine Revolution: Die Nähe zu staatlichen Strukturen und mehr oder weniger staatlichen Gremien schadet einem Journalismus gerade in Zeiten, in denen immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass die einen (die Redaktionen) mit den anderen (der Politik) gemeinsame Sachen machen. Das ist und bleibt ein Vorurteil, aber eben eines, das durch die ARD in ihrer jetzigen Form permanent neue Nahrung erhält.