Der russische Überfall auf die Ukraine kommt Europa teuer zu stehen. Da wird China noch gebraucht.
Es erinnert ein bisschen an ein Laientheater: Wann immer Kanzler Olaf Scholz seinen Auftritt bekommt, twittern und ledern seine Gegenspieler – drolligerweise zugleich seine Koalitionspartner – munter drauflos. Manchmal reichen schon geraunte Meldungen, wonach der frühere Hamburger Bürgermeister den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei HHLA-Terminal Tollerort durchsetzen will, um Anton Hofreiter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf die Bühne zu locken und auf die Palme zu bringen.
Der grüne Hofreiter, der sich vom friedensbewegten Biologen zum bellizistischen Geostrategen gewandelt hat, wettert: „Deutschland darf nicht die Fehler wiederholen, die wir in den vergangenen 20 Jahren mit Russland gemacht haben. Es wäre ein geostrategischer Fehler, Teile des Hamburger Hafens an China zu verkaufen.“ Und die FDP-Politikerin setzte den Tweet ab: „Was muss in der Welt eigentlich noch passieren, damit Deutschland in der Realität ankommt und nicht Männchen macht vor den Feinden der freien demokratischen Welt? Ein Verkauf von kritischer Infrastruktur an China ist ein krasser Fehler. Wer berät eigentlich den Bundeskanzler?“
China-Einstieg am Hafen "krasser Fehler"? FDP und Grüne liegen falsch
Die gute Nachricht: FDP und Grüne liegen endlich mal wieder auf einer Linie. Die schlechte Nachricht: Beide liegen falsch. Und es wird auch nicht richtiger, dass sich viele Kommentatoren einig waren. Die „FAZ“ warnte angesichts einer Teilabgabe des kleinsten Terminals vor einem „Verkauf des Tafelsilbers“ und einem strategischen Gewinn für China, „nicht weit entfernt von dem, den Putin mit den Nord-Stream-Leitungen erzielte“.
Geht’s auch etwas kleiner? In der großen Empörung gehen viele Fakten unter, die gestern die HHLA klarstellen musste: Es handelt sich keineswegs um den ganzen Hamburger Hafen, sondern um maximal ein gutes Drittel der Anteile an der HHLA-Tochtergesellschaft Container Terminal Tollerort. Damit geht es weder um den Zugriff auf brisante, nationale Infrastruktur oder strategisches Know-how noch um Pekinger Entscheidungsgewalt im Hamburger Hafen.
Es geht um den Handel, von dem dieses Land und diese Stadt seit Jahrhunderten sehr gut lebt. Und egal, ob es der Politik gefällt oder nicht — China ist der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik. 2021 wurden mit dem Reich der Mitte Geschäfte im Wert von 246,1 Milliarden Euro abgewickelt. Wer da die Konfrontation oder gar einen Handelskrieg mit China für eine sinnvolle Idee hält, dem fehlt wahrscheinlich auch die wirtschaftliche Kompetenz für die Teilnahme an einem Monopoly-Match.
Wir brauchen China – und China braucht uns
Hafenbeteiligungen sind zudem keine Hamburger Besonderheit, sondern längst gelebte Realität: So sind Chinesen an Terminals in Rotterdam, Antwerpen, Valencia oder Duisburg beteiligt. Da klingt der Verkauf einer Minderheit am Tollerort nicht nur fast logisch, sondern ist für die HHLA wie für die Exportnation Deutschland eher Chance denn Risiko.
Dennoch darf man sich keinen Illusionen hingeben – natürlich ist China wirtschaftlicher und geopolitischer Rivale. Leider haben Politik und Unternehmen diese Gefahr zu lange ausgeblendet, weggewischt, kleingeredet. Als sich der chinesische Konzern Midea 2016 den innovativen Roboterbauer Kuka einverleibte, zuckten alle mit den Schultern, im selben Jahr übernahm Cosco die Mehrheit des Hafens von Piräus, die EU hatte auf die Privatisierung gedrängt. Und Ulrich Grillo, damals BDI-Präsident, befand: „Wenn die Chinesen hier etwas kaufen wollen, ist das ein gutes Zeichen. Das zeigt, dass wir gut unterwegs sind.“ Heute sind wir eher tollkühn unterwegs. Es ist gut, dass die naive Blauäugigkeit vergangener Tage nun Geschichte ist.
Schlecht aber wäre, wenn wir nun vor Wut über die geopolitischen Verwerfungen strategisch blind werden. Statt einer Gegnerschaft bedarf es einer kritischen Partnerschaft. Wir brauchen China nicht nur als Handelspartner, sondern auch als Mitstreiter in der Kriegs-, Krisen und Klimadiplomatie. Und China braucht uns – wir sollten weder Duckmäuser noch Maulhelden sein.
Nur weil Wladimir Putin mit seinem Feldzug in der Ukraine den Verstand verloren hat, müssen wir nicht noch mit den Chinesen brechen. Die Globalisierung rückabzuwickeln, mag in Talkshows und im Twittertheater viel Beifall bekommen. Es macht die Welt aber nicht nur unsicherer – sondern uns alle ärmer.