Hamburg. 46 Prozent der deutschen Hauptwörter sind feminin, und nur 34 Prozent bleiben fürs Maskulinum.
Eine Leserin schrieb mir: „Ich freue mich immer wieder auf Ihre Deutschstunde, vor allen Dingen, dass es nach der vielen Grammatik auch neue Themen gibt. Bitte weiter so!“ Ich guckte reichlich betreten. Ohne die Tücken und Stolpersteine der Grammatik lässt sich der Charakter des Deutschen nicht erklären. Die Grammatik ist die Lehre vom Bau einer Sprache. Deshalb habe ich mich bemüht, die notwendigen Regeln möglichst lebendig und launig darzureichen, und offenbar ist mir das ab und zu sogar gelungen.
Vor einer Woche hatte ich mich mit dem deutschen Wortschatz beschäftigt. Der ist noch langweiliger, weil hier keine Sprache geformt wird, weil keine Dichtung, Nachricht oder Literatur entsteht, sondern lediglich Wörter gezählt werden. Der Wortschatz ist die Gesamtheit dessen, was gesprochen und geschrieben wird, fein säuberlich getrennt nach Grundformen (Infinitive oder Nominative Singular) und Wortformen (Flexionsformen).
Zwei Plurale werden unterschieden
Das Dudenkorpus der Wortformen umfasste im Jahre 2015 3,4 Milliarden (Milliarden!) Einträge, die Stichwörter im Duden-Universalwörterbuch reduzierten sich auf 140.000 Einheiten. Die Formen „stehle, stiehlst, stahlen, stähle, stehlend, gestohlen, stiehl!“ sind Flexionsformen, die uns jederzeit in einem Text begegnen können, während die übergreifende Grundform, der Infinitiv, „stehlen“ lautet. Er ist quasi der Familienname einer weitverzweigten Sippe und wird als Einziger in das gängige Korpus (in eine Sammlung) oder in ein Wörterbuch eingetragen.
Wir müssen zwei Plurale unterscheiden. Die Mehrzahl von „Wort“ heißt erst einmal „die Wörter“. Die Wörter kann man zählen oder besser: Man könnte sie zählen, selbst wenn die Finger beider Hände nicht ausreichten. Falls Sie allerdings versuchen sollten, alle 3,4 Milliarden Formen zu zählen, brauchten Sie nach der ersten Million professionelle Hilfe. Heute hilft ein Computer. Der zählt schnell und genau. Die zweite Bedeutung von „Wort“ mit dem Plural „die Worte“ kann jeweils aus mehreren Wörtern bestehen.
46 Prozent der Substantive Feminina
Sie bedeuten im Allgemeinen eine ernsthafte Äußerung, eine Beteuerung, einen Ausspruch, eine zusammenhängende Rede oder eine Erklärung. So können Wörter zu Worten werden. Goethes letzte Worte waren: „Mehr Licht!“ Noch inhaltsschwerer wird es, wenn die Worte in die Einzahl zurückgeführt werden: Gottes Wort umfasst so viele Wörter, dass die Bibel ein umfangreiches Buch geworden ist.
Fast drei Viertel der Wörter im Korpus sind Substantive (Hauptwörter). Die meisten deutschen Substantive werden von einem Artikelwort begleitet („der, die, das“). Dabei sind 46 Prozent Feminina (weiblich), 34 Prozent Maskulina (männlich) und 20 Prozent keines von beiden (Neutra, sächlich). Sie werden jeweils einem Geschlecht, fachsprachlich Genus, zugeordnet – aber ausschließlich in grammatischer Hinsicht, sonst könnte man daraus schließen, dass die Weiblichkeit ein erhebliches Übergewicht habe.
Ist der Mann also maskulin oder feminin?
Doch das Genus hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Sexus, dem natürlichen Geschlecht oder Geschlechtstrieb einer Person, zu tun. Vielmehr bildeten sich bei der Substantivierung im Indogermanischen sogenannte Stammklassen heraus, in die Begriffe unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung aufgenommen wurden und dort heute noch beheimatet sind.
Der Mann ist männlich, ist aber eine Person. Die Person jedoch ist weiblich. Ist der Mann also maskulin oder feminin? Diese Frage lässt sich in der Sprache ausschließlich grammatisch beantworten. Wer das nicht beachtet, versinkt im Genderwahn wie die Veranstalter des evangelischen Kirchentages 2015 in Stuttgart, die im amtlichen Programm schrieben, die Teilnehmenden sollten sich an der Diskussion über „Saalmikrofoninnen und -mikrofone“ beteiligen.
Niemand will Frauen die weiblichen Bezeichnungen nehmen
Die Sexualisierung von Sachen ist ein Ausbund des ideologischen Genderns. Niemand will den Frauen ihre weiblichen Bezeichnungen nehmen, aber dann bitte als Doppelformen wie „Leserinnen und Leser“. Diese Fügungen können einen Satz sehr lang werden lassen. Das Neueste sind die „Demonstrantinnen und Demonstranten“ und das Übereifrigste die Formulierung „alle Krankenschwesterinnen der Klinik“ in einer Mail an mich.