Hamburg. Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Abendblatt-Vize Matthias Iken. Heute über den Rechtsruck in Europa.

Matthias Iken: In Italien haben die Rechtspopulisten die Wahl gewonnen. Müssen wir uns um Italien und Europa Sorgen machen?

Klaus von Dohnanyi: Italien hat nach dem Sturz Mussolinis und dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine faschistoide Vergangenheit nie ganz verlassen. Zu meinem Erstaunen sah ich vor Jahren, dass auf itali­enischen Wochenmärkten ganz selbstverständlich Mussolini-Büsten angeboten wurden. Aber Italien hat heute bewährte demokratische Strukturen. Es ist das begabteste Land Europas. Kein anderes trägt seit über 2000 Jahren so ungebrochen zur Größe Europas bei. In der EU wird Italien vermutlich jetzt sperriger – was ich übrigens für gut und notwendig halte, denn wir sind kein Bundesstaat! Sorgen macht mir heute eher ein übergriffiges und oft realitätsfernes Brüssel, das Europa spaltet.

Iken: Auch in Schweden und zuvor in Frankreich gewannen rechtsradikale Kräfte kräftig hinzu …

Dohnanyi: Ähnliche Entwicklungen, kann man in den Niederlanden, Belgien und bei uns mit der AfD beobachten; auch Trump oder Johnson repräsentierten solche Tendenzen. Wird die Welt gefährlicher, suchen auch Demokraten Zuflucht dort, wo Heimat und natürlicher Zusammenhalt gefunden werden können. „Internationalisten“ und „Globalisten“ verlieren dann Vertrauen, die Welt wird nationalistischer. Dem können wir nur erfolgreich begegnen, wenn wir diese Strömungen verstehen und politisch nicht nur verächtlich machen: Es gilt auch, die sozialen und sozialpolitischen Ursachen zu beseitigen.

Iken: Welche Lehren sollten die Parteien der Mitte daraus ziehen?

Dohnanyi: Die Mitte hat nicht immer recht. Es gibt auch legitime linke oder rechte Positionen. Um demokratisch zu obsiegen, muss die politische Führung die Gründe verstehen, die zu populistischen Ausreißern führen. Wer es verpasst, auf soziale Verwerfungen erfolgreich zu reagieren, darf sich nicht wundern, wenn Populisten oder Faschisten den Weg versperren. So kritisch ich bei der einseitigen militärischen Sicherheitspolitik unserer Regierung in der Ukrainefrage bin – hier, in der sozialen Innenpolitik, bewundere ich die Mühe, mit der sie versucht, sich den Krisen entgegenzustemmen.