Hamburg. Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Abendblatt-Vize Matthias Iken. Heute über den Krieg in der Ukraine.
Matthias Iken: Deutschland bereitet sich auf einen harten Winter vor. Fürchten Sie um den Wohlstand des Landes?
Klaus von Dohnanyi: Drei Krisen treffen aufeinander. Klimakrise, Pandemie und nun der Ukraine-Krieg. Letzterer brachte den Bruch. Nicht weil Putin vertragsbrüchig wurde, sondern weil wir auf einen Einfuhrstopp von Gas und Öl aus Russland hinaus wollten, Energiesanktionen verhängten und nun vor den Trümmern unserer Politik stehen. Wenn der Winter kalt wird, werden wir kaum darum herumkommen, die Versorgung der Wirtschaft zu drosseln. Die Folgen wären zerstörerisch, langfristig und selbstverschuldet.
Iken: Sehen wir diese deutschen Interessen derzeit in ausreichendem Maße?
Dohnanyi: Dass Präsident Biden im Dezember 2021 nicht bereit war, mit Putin über die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhandeln, war nicht in unserem Interesse. Aber: Vorbei, die Würfel sind gefallen. Europa und Deutschland haben an einer baldigen Beendigung des Krieges ein größeres Interesse als die USA: Die Zerstörungen und die Toten betreffen nur Europa. Die Interessenlagen sind folglich höchst unterschiedlich: Europa benötigt Frieden und fürchtet die Ausweitung des Krieges, die USA wollen einen Sieg. Wohin führt nun Putins Teilmobilmachung?
Iken: Was sollte die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach nun tun?
Dohnanyi: Erdogan berichtet, Putin sei verhandlungsbereit. Putin wird aber kein Ergebnis akzeptieren, bei dem die Ukraine in die Nato kommt. Mit dieser Perspektive wird es keinen Frieden geben. Diese Frage wird aber allein in Washington entschieden. Könnte man also in Washington erreichen, dass die Nato-Mitgliedschaft durch eine UN-garantierte, wehrhafte Neutralität ersetzt wird, wenn Putin auf die in Minsk vereinbarte Autonomie des Donbass unter ukrainischer Oberhoheit zurückkehren würde? Selbst Selenskyj deutete das einmal als Lösung an. Und so war es ja auch vom Westen längst beschlossen, wie 2018 Wolfgang Ischinger, damals Vorsitzender der Münchener
Sicherheitskonferenz, feststellte. Nicht in zukünftiger militärischer Führung, sondern hier, in heutiger diplomatischer Initiative, liegt Deutschlands europäische Führungsaufgabe. Die hatten wir bestellt.