Hamburg. Am Pendlerchaos, das seit dem Lkw-Brand herrscht, zeigt sich: Es ist fatal, Teile der Stadt einfach zu ignorieren.
Sich als abgehängt wahrzunehmen gehört zum Lebensgefühl der Harburger und Wilhelmsburger. Derzeit wird dieses Gefühl einmal mehr bestätigt. Jetzt könnte man behaupten, der Lkw-Brand unter dem Bahnhof Elbbrücken sei ein unvorhersehbares Ereignis gewesen und höhere Gewalt, aber das wäre zu kurz gesprungen. Denn irgendetwas ist auf dieser Strecke immer: Signalstörungen, Personen im Gleis, Fliegerbomben.
Seit Jahrzehnten mahnen Verkehrspolitiker aus dem Hamburger Süden, dass die Abhängigkeit vom Nadelöhr Elbbrücken fatal ist, dass man alternative Elbquerungen braucht – sei es eine Verlängerung der U 4 zunächst nach Wilhelmsburg und später nach Harburg; sei es eine S-Bahn-Strecke parallel zum Elbtunnel oder wenigstens eine Expressbuslinie zwischen Neugraben und Altona.
Bewohner des Südens bleiben abgehängt
Und seit Jahrzehnten werden sie entweder abgewiesen oder vertröstet. An das S-Bahn-Netz der Hansestadt wurde der Hamburger Süden als Letztes angeschlossen, in den 1980er-Jahren. Das älteste Versprechen einer U-Bahn über die Elbe ist noch viel älter: Im Stahlfachwerk der Freihafenelbbrücke sind Querträger eingenietet, auf der – oberhalb der Fahrbahn – Gleise verlaufen sollten. Verwirklicht wurde der Plan von 1915 schon bei der Einweihung der Brücke 1927 nicht. Die Wilhelmsburger und Harburger warten bis heute darauf.
Die alteingesessenen Bewohner des Südens bleiben abgehängt. Was sie derweil zur Kenntnis nehmen, ist, dass in den bereits gut erschlossenen Vierteln rund um die Alster sehr wohl eine zusätzliche U-Bahn-Linie geplant wird. Und dass der Verkehrssenator fröhlich eine Beachbus-Linie von Eimsbüttel nach Övelgönne einweiht, während Busse und Fahrer für den Schienenersatzverkehr fehlen.
U 4 könnte Abhängigkeit verringern
Mit der U 4 könnte man nicht nur die Abhängigkeit des Nahverkehrs von zwei S-Bahn-Gleisen verringern. Die Bahn könnte das hippe Reiherstiegviertel, die geplanten Neubaugebiete in der neuen Wilhelmsburger Mitte und die Großwohnsiedlung Kirchdorf-Süd für den modernen Nahverkehr erschließen. Und ja, verlängert bis Harburg könnte sie auch Sicherheit und Alternativen schaffen, wenn die S-Bahn mal wieder ausfällt.
Fakt ist jedoch: Für eine Verlängerung der U 4 über den Grasbrook hinaus sind noch nicht einmal die Grundstücke gesichert. Eine westliche Elbquerung für die S-Bahn haben über die Jahrzehnte verteilt schon Harburger Bezirkspolitiker und Bürgerschaftsabgeordnete jeder Partei gefordert. Pendler aus dem südwestlichen Umland – die S 3 fährt bis nach Stade – mit Zielen im Hamburger Westen wären damit auch 20 Minuten schneller am Ziel.
S-Bahn-Ring wäre denkbar
Außerdem könnte man so einen S-Bahn-Ring schaffen, der bei Störungen auf einem Teil der Strecke eine alternative Fahrtroute anbietet. Wurde das Projekt lange als lächerliche Utopie abgetan, wird jetzt immerhin schon eine Machbarkeitsstudie darüber angefertigt. Die soll im kommenden Jahr Zwischenergebnisse liefern. Spricht man mit Hamburger Verkehrsplanern, hört man mehr oder weniger offen, dass sie dies Projekt gerne der nächsten Planergeneration überlassen würden. Priorität haben andere Projekte.
In der Hauptverkehrszeit haben die Züge der S-Bahn über die Elbe eine Kapazität von 15.000 Fahrgästen pro Stunde und sind auf Teilen der Strecke voll ausgelastet. Der gegenwärtige Schienenersatzverkehr schafft ein Drittel davon, mit den Verbesserungen ab Montag vielleicht die Hälfte. Bleiben 7500 Fahrgäste, die auf freie Plätze in elf Regional- und Fernzügen ausweichen sollen. Das kann nicht funktionieren. Das Auf-die-lange-Bank-Schieben der Alternativtrassen rächt sich jetzt.