Hamburg. Die Stadt verpasst das Wohnungsbauziel um Längen – Corona und Schnitzer der Hamburger Politik sind dabei nur ein paar der Gründe.

Bundeskanzler Olaf Scholz durchlebt ungemütliche Zeiten. Binnen einer Woche mussten die Sozialdemokraten die zweite bittere Klatsche bei einer Landtagswahl einstecken, die Rufe nach mehr Klarheit, mehr Kommunikation und mehr Führung werden immer lauter. Da dürfte Scholz fast froh sein, dass er die Hiobsbotschaft vom Montag aus der Stadtentwicklungsbehörde nicht mehr verantworten muss.

Seine wirkmächtigste Erfolgsgeschichte, die er und Nachfolger Peter Tschentscher gern und oft erzählt haben, hat nun ein abruptes Ende gefunden: Hamburg hat sein Wohnungsbauziel krachend verpasst. Statt der 10.000 in Aussicht gestellten Einheiten sind im vergangenen Jahr nur 7461 neue Wohnungen fertiggestellt worden – nicht einmal drei Viertel des Versprochenen wurde geliefert.

2020: Rekordjahr mit 11.269 neuen Wohnungen

Dabei geht es nicht um einen politischen Nebenschauplatz, sondern die große Bühne des sozialdemokratischen Selbstbewusstseins. Es war Olaf Scholz’ Wahlversprechen, 6000 Wohnungen jährlich zu bauen, das ihn 2011 ins Rathaus beförderte. Und es war die pragmatisch-zuverlässige Umsetzung, die ihn 2015 erneut siegen ließ. Dank eines breiten „Bündnisses für das Wohnen“ mit der Immobilienwirtschaft galt die Stadt Hamburg bald als Vorbild im Land.

Wurden 2011 nur 3729 Wohnungen an Alster und Elbe errichtet, waren es vier Jahre später schon 8521. 2016 setzte Bürgermeister Scholz das Ziel auf 10.000 Einheiten herauf und konnte 2018 erstmals Vollzug melden. Mit 11.269 fertiggestellten Wohnungen erreichte Hamburg 2020 einen neuen Rekord. Kaum ein Thema wie der Wohnungsmangel hatte die Menschen im vergangenen Jahrzehnt stärker bewegt. Die Politik hatte versprochen – und geliefert. Und obendrein den Erfolg geschickt inszeniert. Regelmäßig feierten sich die Bezirke für ihre erteilten Baugenehmigungen und die Behörde für die gestiegenen Fertigstellungen. Bis gestern.

Viele Faktoren führten zum Desaster

Da war es verständlich, dass die Staatsrätin und die Vertreter des Bündnisses um Schadensbegrenzung bemüht waren. Und ihre Argumente sind ja nicht falsch: Natürlich hat die Pandemie zu massiven Verzögerungen auf vielen Baustellen geführt, die Lieferengpässe verschärften das Problem. Zugleich wird es immer schwieriger, geeignete Grundstücke zu finden. Nach zehn Jahren Wohnungsbauoffensive sind die niedrig hängenden Früchte längst gepflückt.

Aber das vermag den Einbruch nur teilweise zu erklären. Die Bedingungen haben sich fundamental geändert. Die Inflation bremst inzwischen die Bautätigkeit, und nun steigen die Zinsen. Politische Fehler wie der überraschende Stopp der KfW-55-Förderung durch Wirtschaftsminister Robert Habeck vergrößern das Desaster. Und immer neue Auflagen etwa bei der Dämmung bringen inzwischen wenig, kosten aber viel.

Trendwende statt Ausrutscher?

Hinzu kommen Schnitzer in der Hamburger Politik: Manchen Bauabteilungen, die über Projekte entscheiden, kann man beim Laufen die Schuhe besohlen. Zentrale Grundstücke wie das Holsten-Areal sind nur Spielfelder für Spekulanten, aber noch immer kein Baugrund. Der Senat hatte einst versäumt, sich das Grundstück zu sichern.

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Und auch viele Bürger sind Teil des Problems: Sie errichten schnell Barrikaden, sobald Wohnungen in der Nachbarschaft entstehen sollen. Und jede Volksinitiative, die den Zubau bremsen will, bekommt in Hamburg schnell Zehntausende Unterschriften. Solidarität endet bei uns schnell am Gartenzaun.

Gut möglich, dass die 7461 Einheiten also kein Ausrutscher waren, sondern die Trendwende einläuten. Wer in Zukunft über 10.000 Wohnungen kommen will, wird nicht nur Glück benötigen, sondern auch politisches Geschick.