Hamburg. Der Fall Fynn Kliemann zeigt: Werbung kann uns täuschen. Dennoch können wir mit jedem Einkauf die Welt ein wenig verbessern.

Zu Hause in meiner Süßigkeitenschublade liegt eine Packung Schokoladen-Ostereier, die damit wirbt, sich für „bessere Lebensumstände der Kakaobauern“ einzusetzen. Der Hersteller der Holunderbonbons verspricht, die Kräuter nur an „ausgewählten Standorten nachhaltig“ anzubauen. Und die Kaugummidose besteht neuerdings aus recyceltem Plastik – aber nur zu 30 Prozent. Da ist noch etwas Luft nach oben zu der Shampooflasche in meinem Bad mit 93 Prozent.

Unsere Werbewelt hat sich verändert: Vor ein paar Jahren wurde jemand noch als „Öko“ belächelt, wenn er Kleidung aus recycelten Materialien trug. Heute sind Labels wie „nachhaltig“, „klimaneutral“ und „umweltfreundlich“ die besten Verkaufsargumente. Viele Online-Shops bieten ihren Kunden inzwischen an, ihr Gewissen zu erleichtern und den CO₂-Ausstoß, den sie mit ihrer Paketbestellung verursachen, gegen einen kleinen Aufpreis zu kompensieren. Vor einer Woche war ich mit einem Kumpel in einem bekannten Beachclub am Hamburger Hafen essen. Die Pommes wurden in Holzschälchen serviert, auf der Karte standen lauter Gerichte mit Bio-Fleisch. Ich war so begeistert, dass sich der Laden offenbar Gedanken um die Umwelt macht, dass ich vielen Freunden davon erzählt habe und garantiert wiederkommen werde.

Immer mehr Konsumenten legen Wert auf Nachhaltigkeit

Die Welt zu verbessern liegt im Trend. Das weiß auch die Industrie. Immer mehr Konsumenten legen Wert auf Nachhaltigkeit und passen ihr Kaufverhalten an. Unternehmen geraten zunehmend unter Druck, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Kosmetikhersteller verzichten auf schädliche Zusatzstoffe in ihren Cremes und Haarkuren. Supermarkt-Ketten bieten immer mehr Bio-Qualität an. Eine Modefirma pflanzt für jede Bestellung einen Baum. Das beweist einmal mehr: Wir treffen mit jedem Einkauf eine Entscheidung und beeinflussen unsere Welt. Ob Firmen nun wirklich etwas Gutes tun oder vor allem ihre Produkte verkaufen wollen, sei einmal dahingestellt. Aber die Richtung stimmt.

Doch natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Werden die Kräuter meiner Holunderbonbons wirklich so nachhaltig angebaut, wie es die Verpackung beteuert? Ich hoffe es – habe aber keine Ahnung. Wurde die Shampooflasche tatsächlich aus 93 Prozent recyceltem Plastik hergestellt? Oder sind das alles nur leere Versprechungen, die gut klingen und sich vermarkten lassen?

Böhmermann hat Kliemanns Geschäfte als große Mogelpackung dargestellt

Für Aufsehen sorgte in den vergangenen Tagen Influencer und Musiker Fynn Kliemann. Der 34-Jährige hat sich das Image des verpeilten, sympathischen Heimwerkerkönigs aufgebaut, der jede Menge kreative Ideen hat, mit denen er kein Geld verdienen, sondern die Welt verbessern will. Nun hat das „ZDF Magazin Royale“, das von Satiriker Jan Böhmermann moderiert wird, die Geschäfte des Unternehmers aber als große Mogelpackung dargestellt.

Zu Beginn der Pandemie hat Kliemann mit einer großen Textilfirma „fair produzierte und in Europa hergestellte“ Masken verkauft. Recherchen haben aufgedeckt, dass diese Schutzmasken aber gar nicht aus Europa, sondern aus Bangladesch und Vietnam kommen. Mitarbeitende der Fabrik sollen für die Produktion gerade einmal 120 Euro pro Monat erhalten haben.

Worte wie Inklusion sind gut für die Imagepflege – manchmal aber nur heiße Luft

Vergangene Woche habe ich einen jungen Mann mit Asperger-Syndrom kennengelernt, der verzweifelt auf der Suche nach einem Arbeitsplatz ist. Er hat etliche Firmen angeschrieben, die auf ihrer Homepage damit werben, sich für Menschen mit Behinderung stark zu machen – doch in Wahrheit haben sie nicht einmal seine Bewerbungsmappe angefordert, geschweige denn ihn zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Worte wie Inklusion sind gut für die Imagepflege – manchmal aber nur heiße Luft. Nicht überall, wo das Etikett „nachhaltig“ dran steht, steckt es auch drin.

Das Bittere an Fällen wie Fynn Kliemann: Wegen solcher Täuschungen entsteht schnell eine Art Generalverdacht – fair produzierte Ware stamme sowieso aus Asien. Menschen, die eine Vision haben, wollen am Ende doch nur Geld verdienen. Ich finde: Ein soziales Projekt ist nicht weniger wertvoll, nur weil der Schöpfer seinen Lebensunterhalt damit verdient. Wir brauchen ganz dringend Weltverbesserer, denen Werte wichtig sind – und die sie wirklich leben.