Hamburg. Die zweite Säule des Bildungssystems hat sich etabliert und als kluger Schachzug erwiesen – auch wenn einige Probleme bleiben.

Es war ein politischer Kraftakt, mit dem die Stadtteilschule vor mehr als zehn Jahren als zweite Säule neben dem Gymnasium aus der Taufe gehoben wurde. In einer Zeit, als die bildungspolitische Debatte in Hamburg von der emotionalen und teils polemischen Auseinandersetzung über die sechsjährige Primarschule geprägt war, fand sich eine breite Mehrheit in der Bürgerschaft für eine Schulstrukturreform, die bundesweit Signalwirkung hatte.

In der Stadtteilschule wurden die Gesamtschulen, die Haupt- und Realschulen sowie hanseatische Besonderheiten wie die sieben- und fünfstufigen Aufbaugymnasien zusammengefasst. Die progressiven Bildungspolitiker bei SPD und Grünen mussten den Traum von der „Schule für alle“ begraben – sie ist in einer Stadt wie Hamburg nicht durchsetzbar. Das integrative Schulsystem wurde mit der Stadtteilschule aber dennoch gestärkt. Die Konservativen mussten sich vom lange hochgehaltenen, aber den aktuellen Anforderungen nicht mehr genügenden dreigliedrigen Schulsystem verabschieden. Dafür wurde die bildungspolitische Ikone Deutschlands, das Gymnasium, nicht angetastet.

Stadtteilschule setzte sich als zweite Säule durch

Was manchen zunächst wie ein Formelkompromiss vorkam, hat sich längst als kluger Brückenschlag zwischen den über Jahrzehnte gewachsenen, feindlich gesonnenen bildungspolitischen Lagern erwiesen. Der im Grunde fruchtlose, ideologische Grundsatzstreit über das „richtige“ Schulsystem gehört endlich der Vergangenheit an. Dem Hamburger Schulwesen hat das sehr gutgetan. Stichwort Pisa-Schock: In den Länderrankings der Schülerleistungstests sind die jungen Hamburgerinnen und Hamburger Schritt für Schritt vom Abstiegsplatz immer weiter nach oben geklettert.

Heute hat sich die Stadtteilschule als zweite Säule durchgesetzt – etwa gleichrangig mit dem Gymnasium, was die Anmeldezahlen der fünften Klassen angeht. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass die neue Schulform von Beginn an mit erheblichen Problemen zu kämpfen hatte und diese Probleme auch heute nicht verschwunden sind.

Höherer Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund

Die Große Anfrage der Links-Fraktion hat es gezeigt: Die soziale Schere zwischen beiden Schulformen ist nach wie vor erheblich. Die Kinder aus Familien mit eher geringen Einkommen besuchen überproportional Stadtteilschulen. Sie kommen häufig aus bildungsfernen Haushalten. Auch der deutlich höhere Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund spielt eine Rolle. Wer zu Hause nicht wie selbstverständlich Deutsch spricht, hat es in der Schule schwerer. Das haben zwei Jahre Pandemie deutlich gezeigt. Auf der anderen Seite: Bildungsorientierte Eltern schicken ihre Kinder immer noch gern aufs Gymnasium – und halten sie dort, wenn es irgendwie geht.

Die Schulpolitik hat die Stadtteilschulen in der ersten Dekade ihres Bestehens zu Recht massiv gestärkt. Die Klassen sind kleiner als am Gymnasium, die Schüler-Lehrer-Relation ist deutlich günstiger. Dabei sind die 59 staatlichen Stadtteilschulen sehr unterschiedlich. Es gibt sehr etablierte Systeme mit hohen Anmeldezahlen und hoher Abiquote – häufig „alte“ Gesamtschulen mit jahrzehntelanger Erfahrung im integrativen Lernen. Aber es gibt auch Standorte vor allem in sozial belastetem Umfeld, wo es Lehrern schwerfällt, die Schüler bei der Stange zu halten und zum Lernen zu motivieren. Hier bleiben schulpolitisch noch wichtige Aufgaben.

Jeder dritte Stadtteilschüler schafft das Abitur

Alles in allem ist die emanzipatorisch-kompensatorische Leistung der Stadtteilschule aber beeindruckend: Jeder dritte Stadtteilschüler schafft das Abitur, aber 83 Prozent von ihnen hatten keine Gymnasialempfehlung. Ihnen war der Bildungserfolg also wahrlich nicht in die Wiege gelegt worden.