Hamburg. Nie waren wir besser vernetzt, doch die meisten 18- bis 24-Jährigen fühlen sich allein. Eine kleine Geste kann Wunder wirken.

Am Dienstagabend habe ich mir die „ZDFzeit“-Doku „Allein unter Millionen. Die Epidemie der Einsamkeit“ im Fernsehen angesehen. Der Film hat mich sehr berührt. Junge wie alte Menschen erzählen davon, wie allein sie sich fühlen. Eine Rentnerin vermisst ihre Tochter und Enkelkinder, die nach England auswanderten und sie in Rostock zurückließen.

Ein Wirtschaftsjurist zog für seinen Job häufig in neue Städte. An den Orten, an denen er lebte, kam er nie richtig an. Er hat Angst, Menschen an sich heranzulassen. Jugendliche hängen den ganzen Tag an ihren Smartphones, chatten mit anderen, haben Hunderte Freunde bei Instagram. Doch in der echten Welt fehlen ihnen enge Beziehungen zu anderen Menschen, Nähe und Geborgenheit.

Viele junge Leute fühlen sich oft einsam

Laut Statista fühlen sich 53 Prozent der 18- bis 24-Jährigen oft oder immer einsam. Die hohe Zahl schockiert und überrascht mich sehr. Die sozialen Medien machen es einfach, miteinander in Kontakt zu treten. Nie waren wir besser vernetzt. Wir sind ständig und überall erreichbar, können von der Backpackertour in Neuseeland Bilder bei Instagram hochladen, die Sekunden später zu Hause auf den Handys der Freunde aufploppen. Und trotzdem hat ausgerechnet die junge, medienaffine Generation besonders mit Einsamkeit zu kämpfen. Instagram und TikTok sind Scheinwelten.

Jeder zehnte Deutsche bekennt, sich alleine zu fühlen. Das sind alarmierend viele. Dennoch wird über das Thema Einsamkeit viel zu selten gesprochen. Es scheint immer noch ein Tabu zu sein, offen und ehrlich über seine Gefühle zu reden. Während des Films habe ich mich gefragt: Wie geht es den Menschen in meinem Umfeld eigentlich wirklich?

Verletzlichkeit gilt oft noch als Schwäche

Wie fühlt sich meine Freundin, wenn unser gemeinsames Lachen nach unserem Treffen verstummt ist und sie in ihre leere Wohnung zurückkehrt? Wie geht es dem Kumpel, der sich so sehnlich eine Partnerin an seiner Seite wünscht? Noch viel zu oft wird es in der Gesellschaft als Schwäche angesehen, sich verletzlich zu zeigen – aber sind echte Emotionen nicht eher eine Stärke und furchtbar mutig?

Viele Menschen schreien lautlos um Hilfe. Es liegt an jedem Einzelnen, auch ihre stummen Rufe zu verstehen. Aufmerksamer durch die Welt zu gehen. Auf seine Mitmenschen zu achten. Ehrlich daran interessiert zu sein, wie es dem anderen tatsächlich geht. Und sich nicht mit der Standardantwort „Gut. Und dir?“ zufriedenzugeben.

Die Kämpfe der anderen bleiben oft ungesehen

Ich mag diesen Spruch unheimlich gern: „In a world where you can be anything – be kind.“ In einer Welt, in der du alles sein kannst, sei freundlich! Wir wissen alle nicht, welche inneren Kämpfe der andere führt. Sich daran zu erinnern, wenn man einen anderen Autofahrer anpöbeln will oder sich über die langsame Kassiererin aufregt, kann hilfreich sein.

Ich fühle mich umgeben von Liebe, bin unglaublich dankbar für die Menschen in meinem Leben. Aber ich glaube, jeder Mensch fühlt sich auch mal ein wenig verloren. Ist schlecht drauf. Hat keinen guten Tag. Vor ein paar Wochen habe ich darüber geschrieben, wie es mir mit der Corona-Situation momentan geht. Ich habe berichtet, dass ich mir zurzeit genau überlege, wann ich mich verabrede und eine Ansteckung riskiere, um nicht etwa ein mir am Herzen liegendes Ereignis wie etwa die Hochzeit meiner besten Freunde zu verpassen. Daraufhin bekam ich zwei Leserbriefe, die mich auf unterschiedliche Weise bewegten.

Liebe statt Hass in die Welt senden

Der Tenor der ersten Nachricht: Was jammert Frau Behrmann so herum? Nach zwei Jahren Pandemie muss man sich an die Situation doch mal gewöhnt haben und sich nicht so anstellen. Die zweite Nachricht kam von einem Leser, mit dem ich inzwischen eine Art E-Mail-Freundschaft pflege: Er habe das Gefühl, ich sei gerade entmutigt. „Kann ich Sie irgendwie aufmuntern?“, fragte er. Dieser Leserbrief hat mich so berührt. Ein fremder Mann macht sich Gedanken darüber, wie es mir geht.

Dieses Beispiel hat zwar nichts mit Einsamkeit zu tun. Aber es zeigt mir, dass es immer zwei verschiedene Arten gibt, mit seinen Mitmenschen umzugehen. Man hat es selbst in der Hand, ob man Liebe oder Hass in die Welt sendet. Für mich war der Doku-Film ein Appell, mehr auf andere Menschen Acht zu geben. Schon ein kurzer Anruf kann helfen, um einem Freund zu zeigen, dass er nicht allein und jemandem wichtig ist.