Hamburg. Ja, ich verliere nicht gerne beim Spielen. Nicht gegen Freunde, nicht gegen meinen Vater. Aber für 2022 braucht man ja gute Vorsätze

Urlaub im Harz mit Freunden. Kurz vor Mitternacht. Vier erwachsene Menschen kommen unter Alkoholeinfluss auf die Idee, eine Runde „Mensch ärgere Dich nicht“ zu spielen. Meine grüne Figur steht direkt vor dem Häuschen. Sie musste einen langen, beschwerlichen Weg zurücklegen. Mit vielen gewürfelten Einsen kam sie nur mühsam voran. Doch jetzt ist sie ihrem Ziel ganz nah. Mein Puls erhöht sich – dann werde ich rausgeschmissen. Wut steigt in mir auf. Ich versuche, mich zu beherrschen. Jammere. Nach einer Stunde Spielzeit befinden sich alle vier Figuren wieder am Anfang. Und ich frage mich: Wer hat sich eigentlich diesen beknackten Namen für das Spiel einfallen lassen? Man macht nämlich vor allem eines: sich ärgern.

„Mensch ärgere Dich nicht“ ist ein Spiegel des Lebens. Wir gehen nicht immer einfache Wege. Erleben Rückschläge. Treffen falsche Menschen und Entscheidungen. Scheitern. Müssen wieder von vorne anfangen. Bei alledem bringt es nichts, sich zu ärgern. Das ändert nichts an der Situation, macht sie nur schwerer erträglich. Von daher hat Josef Friedrich Schmidt doch keinen so schlechten Namen für sein Spiel ausgewählt, als er es 1907 erfunden hat. Vielmehr hat er den Menschen einen weisen Ratschlag mit auf den Weg gegeben.

Schwerer als gedacht: Nicht ärgern bei „Mensch ärgere Dich nicht“

Während der Corona-Pandemie entdeckten viele ihre Liebe zum Spiel wieder. „Mensch ärgere Dich nicht“ wurde 2020 über eine Million Mal verkauft.

Gesellschaftsspiele sind dazu da, Spaß zu machen. Familie und Freunde zusammenzubringen. Doch in vielen Wohnzimmern wird Spielen zum bitterem Ernst und bringt in Menschen ihre dunklen Seiten zum Vorschein. Nur beim Autofahren fluche ich mehr. Mein Gelassenheitslevel hängt sehr von meinen Mitspielern ab. Mein bester Kumpel hat mich früher regelmäßig zur Weißglut gebracht, wenn er mich beim Monopoly-Spielen belustigt von der Seite angrinste, während ich ihm mein letztes Geld aushändigte, weil er ein blödes Hotel auf der Parkstraße gebaut hatte.

Ich bin mir sicher: Auch an den Weihnachtstagen gab es in vielen Familien nicht nur wegen der ungeimpften Tante Streit – sondern auch beim Spielen. Meine Eltern und ich haben „Stadt, Land, Vollpfosten“ als Sportedition gespielt. Harmlos, sollte man meinen. Meinem Vater ist es aber völlig egal, ob er Minigolf, „Mau-Mau“ oder eben „Stadt, Land, Fluss“ spielt: Er will gewinnen.

Eskalationsgrenze bei „Stadt, Land, Fluss“ erreicht?

Als Sportart mit S versuchte er meiner Mutter und mir Sackhüpfen zu verkaufen. Beim Buchstaben N las er mit todernster Miene den Begriff „Nachtslalom“ vor. Als wir protestierten, dass das keine Sportart sei, sondern ein Wettbewerb im Skisport, googelte er und präsentierte uns ein bekanntes „Nachtslalom“-Rennen in Italien. Deren Existenz reichte ihm als Beweis. Er notierte sich zehn Punkte auf seinem Blatt. Dass ein Fußballspiel bei Flutlicht auch keine eigene Sportart ist, ließ er nicht gelten. Meine Mutter und ich gaben nach. Als ich ihn heute anrief, um mir sein O. K. abzuholen, diese Geschichte in der Kolumne verwenden zu dürfen, beharrte er weiter auf seiner Antwort: „Ich habe das doch gegoogelt!“

Spaß hatten wir trotzdem. Aber wir haben uns sehr nah an der Eskalationsgrenze bewegt.

Guter Vorsatz für das neue Jahr: Ich möchte mich nicht mehr ärgern

Beim Spielen lassen sich prima die verschiedenen Charaktere der Menschen erkennen. Den gelassenen Typen kann es auch nicht aus der Ruhe bringen, bei „Mensch ärgere Dich nicht“ kurz vor dem Haus von der eigenen Partnerin rausgeworfen zu werden. Das nimmt er mit einem Achselzucken hin, fängt einfach neu an. Bewundernswert. Bei der Emotionalen hingegen wollen unterdrückte Gefühle rausgelassen werden. Sie hat Mühe, ihre Wuttränen zurückzuhalten. Beschimpft ihre Mitmenschen. Droht mit dem Spielabbruch. Der Sadist in der Runde holt noch Schwung, um genüsslich die Figur der bereits am Boden Liegenden vom Spielfeld abzuräumen.

Auch am morgigen Silvesterabend werden in vielen Runden wieder Gesellschaftsspiele herausgeholt. Und hoffentlich mehr gelacht als gestritten. Mein guter Vorsatz für das neue Jahr lautet jedenfalls: Ich möchte mich nicht mehr ärgern. Weder beim Spielen noch im Leben. Wenn der Weg mal ins Leere verläuft, ein Plan scheitert, dann fange ich einfach noch mal von vorne an.

Mit ganz viel Gelassenheit.