Hamburg. Verkehrswende verkehrt: Fußgänger steigen auf E-Scooter um – und erhöhen den CO2-Ausstoß. Die Stadt subventioniert’s.
Es gibt viele nutzlose Dinge, die die Welt nicht braucht. Dazu gehören kleine Dinge wie in Plastik abgepackte Bananen ebenso wie dekadente Goldsteaks, dazu gehören große Teile des Privatfernsehens und fast alle US-Militärinterventionen der vergangenen Jahre. In der Mittelklasse des Nutzlosen schwingt sich gerade die Hansestadt zu einer großen Nummer auf: Sie ist auf dem besten Wege, eine Metropole der Elektroroller zu werden. Diese sind, so hätte man früher gesagt, überflüssig wie ein Kropf.
Dabei hätte man gewarnt sein können: Es war ausgerechnet Verkehrsminister Andreas Scheuer, nicht unbedingt als Stütze der taumelnden Bundesregierung bekannt, der besonders eifrig für die Elektroroller warb: „E-Scooter haben ein enormes Zukunftspotenzial“, wusste der CSU-Mann und brachte diese E-Scooter, wie sie im schlimmsten Marketingsprech heißen, auf die Straße.
E-Scooter sind in Hamburg beliebt
Dort stehen sie, respektive liegen sie nun herum, allüberall im Hamburger Stadtbild: Auf Gehwegen, Radstrecken, in Spielstraßen, vor Bushaltestellen, in Parkanlagen, an Ampeln gelehnt. Rund 9000 Roller sollen es inzwischen an Alster und Elbe sein, einige möglicherweise auch in Alster und Elbe.
Warum die Scooter in der Hansestadt so beliebt sind, könnte auch mit einer großzügigen Privilegierung zusammenhängen. Denn Hamburg bewertet den Rollerverleih – anders als andere Metropolen – als genehmigungsfreien „Gemeingebrauch“ des öffentlichen Raums gemäß Paragraf 16 Absatz 1 Hamburgisches Wegegesetz. Das bedeutet im Klartext: Es gibt keine Regeln und keine Gebühren. Selbst die getroffenen Einschränkungen im Schanzenviertel beruhen auf freiwilligen Vereinbarungen. Berlin und Bremen, kritisiert die Hamburger Linke völlig zu Recht, stufen die Scooter hingegen als erlaubnispflichtige „Sondernutzung“ ein, bei der Auflagen gemacht und Gebühren erhoben werden können.
Für viele Hamburger sind die Roller vor allem ein Ärgernis
Nun will ich keine Spaßbremse sein: Ich weiß, dass gerade Jugendliche die Roller extrem cool finden und die Tourismusbranche sich über ein schnelles Fortbewegungsmittel durch die „smarte City“ freut. Aber damit erschöpfen sich die Argumente bald: Für viele Hamburger sind sie vor allem ein Ärgernis: Die Roller parken Fahrradwege zu, stellen als Steh-im-Wege für Sehbehinderte eine Gefahr dar – und taugen als Wirtschaftsförderungsprogramm nur für Orthopäden und Unfallkliniken. Allein in den vergangenen Tagen verletzten sich mehrere Rollerfahrer schwer: Ein 39-Jähriger verunglückte auf dem Siemersplatz. Kurz zuvor waren zwei junge Männer mit einem E-Scooter am Sievekingplatz betrunken gegen einen Bordstein geprallt, brachen sich Kiefer und Nasenbein, verloren einen Zahn und erlitten Platzwunden am Kopf. Gesund scheint Rollerfahren nicht wirklich zu sein.
Ökologisch sind sie komplett unlogisch. Anders als von ihren Fürsprechern erhofft, ersetzen sie kaum eine Autofahrt: Laut einer großen Umfrage aus Paris unter 4000 Rollerfahrern haben nur läppische acht Prozent mit dem geliehenen E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt ersetzt, 29 Prozent hätten sonst den öffentlichen Personennahverkehr genutzt. Und es wird noch schlimmer: Neun Prozent sind vom Fahrrad umgestiegen, und 47 Prozent der Befragten wären ohne Roller zu Fuß gegangen. Mit Verlaub: Bei mancher Rollerfahrt in Hamburg, die optisch eher an einen Schwertransport erinnert, würde ich aus Fitnessgründen vielleicht doch zu einem Spaziergang raten.
Ökobilanz ist mehr als fragwürdig
Anders als die smarten Rollervermieter glauben machen, ist ihre Ökobilanz mehr als fragwürdig. Wissenschaftler der North Carolina State University haben sich den Roller näher angeschaut und räumen mit der Umweltfreundlichkeit endgültig auf. Neben der Produktion, den Materialien und dem Import kommen noch das Einsammeln per Lieferwagen und das Laden hinzu. Je nach Länge der Lebensdauer variiert der CO2-Ausstoß pro Roller-Kilometer zwischen 87 Gramm (zwei Jahre) und 125 Gramm pro Kilometer (sechs bis 24 Monate). Wer stattdessen mit dem Bus unterwegs ist, legt den Kilometer mit 51 Gramm zurück, der Radler sogar nur mit 5 Gramm.
Die Stadt unterstützt also zulasten ihres eigenen HVV und dem vorbildlichen Stadtrad ein Verkehrsmittel, das deutlich klimaschädlicher ist. Das klingt weniger nach Mobilitätswende als vielmehr nach Mobilitätsirrfahrt – oder nach verkehrter Verkehrspolitik.