Hamburg. Athletinnen und Athleten des DOSB sorgen in Tokio für die schwächste Medaillenbilanz seit der Wiedervereinigung. Was sich ändern muss.
Zehnmal Gold, elfmal Silber und 16 Bronzemedaillen – das deutsche Olympiateam kehrt mit der schlechtesten sportlichen Bilanz seit der Wiedervereinigung von den Sommerspielen aus Tokio zurück. Insgesamt fünfmal Edelmetall weniger als 2016 in Rio, als 17 Goldtriumphe noch zu Rang fünf im Medaillenspiegel gereicht hatten, ergeben in der Gesamtwertung Rang neun. Trotz dieser Zahlen muss man konstatieren: Dass Deutschland überhaupt noch zu den zehn besten Sportnationen der Welt zählt, ist eine positive Überraschung.
Warum dem so ist, verrät ein genauerer Blick auf die, die vor „Team D“ liegen. All diese Nationen verdienen im Gegensatz zum bisweilen leistungssportfeindlichen Deutschland das Prädikat „Sportnation“. Sie alle haben – aus unterschiedlichen Gründen und mit in Teilen sicherlich nicht nachahmenswerten Maßnahmen – eine Kultur entwickelt, in der sich Athletinnen und Athleten auf das Erbringen von Leistung konzentrieren können. In der sie wertgeschätzt werden für das, was sie erreichen, und das nicht nur monetär, sondern vor allem auch gesellschaftlich.
Niederlande-Bilanz muss zu denken geben
Russland, vor allem aber China schöpfen aus einer großen Masse an Menschen, die ohne Rücksicht auf Verluste zum Erfolg getrimmt werden. Die USA haben, ebenso wie Australien, Leistungssport als Triebfeder für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auserkoren. Japan und Großbritannien (dank London 2012) profitieren von ihrer Gastgeberrolle, ebenso wie auch Frankreich als Vorgriff auf Paris 2024. Aber dass eine im Vergleich deutlich kleinere Nation wie die Niederlande, die mit einer cleveren Einbürgerungspolitik und der Konzentration auf ihre Kernsportarten reüssieren, Deutschland den Rang abgelaufen hat, muss zu denken geben.
Deutsche Athletinnen und Athleten sollen überall Vorbilder sein. Sie sollen nicht dopen, sich im Wettkampf stets fair verhalten, keine Sprüche klopfen und am besten auch noch schlaue Lösungen für die gesellschaftspolitischen Fragen, die das Internationale Olympische Komitee mit seinen fragwürdigen Corona-Spielen aufgeworfen hat, anbieten. Der Lohn dafür? Fünf Minuten Ruhm, wenn sie Gold gewinnen, dann verschwinden sie wieder im Schatten der Nische. Es müssen ja nicht gleich zwei Millionen Dollar Prämie sein, wie sie der indische Speerwerfer Neeraj Chopra für seinen Sieg erhält. Aber 20.000 Euro Prämie für eine Goldmedaille sind, man muss es so sagen: ein schlechter Witz.
Deutsche Sportler brauchen mehr Anerkennung
Prämien sind indes zweitrangig, niemand wird Leistungssportler des Geldes wegen. In erster Linie braucht es in Deutschland eine Veränderung der gesellschaftlichen Anerkennung dessen, was unsere Sportelite leistet. Die Bereitschaft, das Land als Botschafterin oder Botschafter zu vertreten und dafür alles andere zurückzustellen, muss der Staat besser würdigen als nur durch die (überlebenswichtige und lobenswerte) Förderung durch Bundeswehr und Bundespolizei; zum Beispiel in Form von Rentenzahlungen. Aber auch die Gesellschaft kann viel wertschätzender mit dem Leistungssport abseits des Fußballs umgehen, als ihn nur einmal alle vier Jahre für ein paar Tage wahrzunehmen.
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Es ist richtig, den Medaillenspiegel nicht mehr als den wichtigsten Gradmesser für Erfolg heranzuziehen, sondern vor allem zu bewerten, ob es gelingt, im wichtigsten Wettkampf des Lebens Bestleistung abzurufen. Aber wer weiß, dass in der Pandemie der gesamte Nachwuchsbereich über viele Monate lahmgelegt wurde und Schulsport nicht stattfand, der wird sich damit abfinden müssen, dass der deutsche Sport ohne radikales Umsteuern in den kommenden Olympiazyklen mit einem Platz unter den Top Ten sehr glücklich sein muss.