Hamburg. Das Verstehen der Vergangenheit ist schwer. Das zeigt auch ein digitales Podiumsgespräch der Hamburger Kulturbehörde.
Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen, und nur wer die Gegenwart begreift, vermag die Zukunft zu gestalten. Die August Bebel zugesprochene Devise wäre ein treffliches Motto für die Debatte über das Hamburger Bismarck-Denkmal. Doch wer dem jüngst von der Behörde für Kultur und Medien (BKM) organisierten Video-Podiumsgespräch beiwohnte, musste erkennen, dass zwar allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Zukunftsgestaltung am Herzen liegt, nur wenigen aber die Vergangenheit präsent ist.
Otto von Bismarck: Eine mythisch verklärte Figur
Dabei schienen die Voraussetzungen günstig, hatte die Behörde zu dem Workshop doch ausdrücklich (Geschichts-)Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Namibia, Kamerun und Deutschland eingeladen. Doch schon die vorgelegte Fundamentalfrage „Wer wird hier eigentlich geehrt?“ warf Probleme auf. Dr. Anna Karla von der Universität zu Köln etwa bezeichnete es als „Blödsinn“, zu glauben, dass Bismarck heute noch in breiten Gesellschaftskreisen „geehrt“ werde.
Auf eine noch tiefgründigere Problematik wies Dr. Ulf Morgenstern, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der nach Bismarck benannten Politikergedenkstiftung des Bundes, hin: Hinter dem Namen Otto von Bismarck verberge sich nicht nur ein historischer Akteur mit mannigfachen Leistungen und Fehlleistungen, sondern auch eine mythisch verklärte Figur. Bedauerlicherweise blieb die von Kultursenator Carsten Brosda eingeforderte wissenschaftliche Aufarbeitung in der Diskussion auf den Mythos beschränkt.
Repräsentant einer imperialistischen Politik
Naita Hishoono vom Namibia Institute for Democracy in Windhoek gab in einem sehr beeindruckenden Statement zu, dass Bismarck als Person in Namibia unbekannt sei. Gleichwohl werde ihm wegen der Berliner Afrika-Konferenz das „Erbe“ der Kolonialisierung Afrikas wie auch des Genozids an den Herero 1904 zugesprochen. Prof. Dr. David Simo von der Universität Yaoundé in Kamerun machte keinen Hehl daraus, dass ihn die kolonialpolitischen Motive Bismarcks nur bedingt interessierten.
Bismarck sei der Repräsentant einer imperialistischen Politik und Protagonist einer hegemonial strukturierten Geschichtssicht, die es den europäischen Mächten erlaubt habe, andere Kontinente zu unterwerfen. Dr. Anna Karla von der Universität zu Köln warf „Bismarck und Konsorten“ vor, die Kolonialherrschaft als „Schutzherrschaft“ verbrämt zu haben.
Hamburger Monument gilt dem Reichskanzler
Mit dem Bemühen um ein Verstehen der Vergangenheit waren all diese Auffassungen kaum in Einklang zu bringen. „Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik“, hatte Bismarck 1881 versichert. Als er sich ein Jahr später den Forderungen der Imperialisten meinte nicht mehr entziehen zu können, zielte er fernab von jeglichem Kolonialenthusiasmus darauf ab, den in Afrika tätigen Handelsunternehmungen Schutz zu gewähren. Die Intensivierung der Kolonialpolitik betrieb er aus einem Bündel von Motiven, die vom Streben nach neuen Märkten bis hin zum Erhalt des europäischen Friedens reichte.
Von „Weltpolitik“ im Sinne Kaiser Wilhelms II. wollte Bismarck nichts wissen. Dennoch waren die Folgen seiner Kolonialpolitik tiefgreifend. Bismarck aus der Geschichte des deutschen Kolonialismus zu entfernen wäre historisch unredlich, freilich ebenso wie die beim Workshop weit verbreitete Stilisierung des Denkmals zu einem Kolonialdenkmal. Das ihm zu Ehren durch Spenden Hamburger Bürger errichtete Monument galt weniger dem Kolonialpolitiker denn dem Reichskanzler, der Deutschland Einheit und Frieden brachte – und Hamburg Wohlstand und Weltgeltung.
Denkmal muss in ein Erinnerungskonzept implementiert werden
Wenngleich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops diese historischen Perspektiven weitgehend ausklammerten, lehnte die ganz überwiegende Mehrheit den in zivilgesellschaftlichen Kreisen der Hansestadt artikulierten Ruf nach einem Denkmalsturz entschieden ab. Einig war sich die Runde, dass das Denkmal in ein größeres städtisches Erinnerungskonzept implementiert werden müsse. Die Kulturbehörde sollte daher den Weg eines breiten öffentlichen Diskurses fortsetzen, ohne dem lautstarken Ruf minoritärer Gruppen nach „Auslöschung“ zu viel Gehör zu schenken. Unser heute moralisch einwandfrei wirkendes Tun kann schon morgen der Verdammung anheimfallen. Der Zeitgeist ist ein unstetes Wesen.