Hamburg. Impfstoff vergammelt? Zum Virenaustausch schnell nach Malle? Egal, wird schon. Wir lesen jetzt Marc Aurel.
Die Weltgeschichte in wenigen Sätzen: Seit vor etwa 14 Milliarden Jahren der Urknall ertönte, fliegt das Universum auseinander. Das Himalaja-Gebirge, Rotwein, die zerknüllte Maske auf dem Trottoir und die von mir bisweilen ungehalten ausgestoßenen Aerosole stammen letztlich aus dieser einen Urknallquelle.
Womit wir bei Marc Aurel wären: „Alles ist wie durch ein heiliges Band miteinander verflochten“, wusste der große Stoiker, alles sei von einer göttlichen Vernunft beseelt. Ein schöner Gedanke, auch wenn das Miststück namens Realität alles versucht, diese Vernunft zu verstecken. Egal, denkt tapfer der Alltagsstoiker, egal, wenn Menschen zum internationalen Virenaustausch nach Malle fliegen, egal, wenn Impfstoff vergammelt, egal, wenn manche Politiker lieber einander bekämpfen als die Pandemie – wird schon. Irgendwo in diesem Irrsinn versteckt sich die göttliche Vernunft. Deswegen: einfach entspannen.
Gelassenheit, die Kunst der emotionalen Selbstbeherrschung
Gelassenheit, die Kunst der emotionalen Selbstbeherrschung, galt als oberste Tugend für den römischen Kaiser Marc Aurel und seine Stoiker-Kumpel in der Antike. Wut? Wahrnehmen und entspannt durchlassen. Angst? Atmen, bis zehn zählen und tschüs. Verzweiflung? Maiglöckchen betrachten und erinnern, was alles gut lief im Leben.
Eine Pandemie, die derzeit ihre anarchische Phase durchläuft, hätte Marc Aurel als ideales Trainingslager für Gelassenheit betrachtet. Nein, wir regen uns nicht auf, wir meditieren lächelnd. Aber wie lässt sich Gelassenheit lernen? Zenon, der den Stoizismus vor knapp 2500 Jahren in Griechenland begründete, bekam von seinem philosophischen Lehrmeister den Auftrag, mit einer Schüssel Linsen durch die Stadt zu laufen. Lernauftrag: Höre nicht auf das Gerede, lasse die Emotionen einfach durch und trage weiter Linsen durch die Stadt.
Entspannungsübung fürs Wochenende: Eine Schüssel Linsen durch die Gegend tragen. Aber vorsichtshalber erst mal im Treppenhaus. Man weiß ja nie, wo sich die göttliche Vernunft gerade wieder versteckt.