Die fetten Jahre sind vorbei – und doch scheint der Bundesliga-Aufstieg des HSVH nur noch eine Frage der Zeit. Wie kam es dazu?

Die Pressekonferenz zur Rückkehr von Nationaltorwart Johannes Bitter (38) zu den Zweitligahandballern des HSV Hamburg (HSVH) war am Montagmittag fast schon beendet, da geriet der 2,05 Meter große Ausnahmeathlet für einen Moment aus dem Konzept. Wie sehr ihn der Gedanke an die Insolvenz des damaligen HSV Handball bei seiner Entscheidung beeinflusst habe, war die Frage. „Es ist komisch, an die Insolvenz habe ich noch gar nicht gedacht“, antwortete er sichtlich überrascht.

In Hamburg hatte Bitter die erfolgreichste Zeit seiner Karriere, gewann 2010 den DHB-Pokal, 2011 die deutsche Meisterschaft und 2013 die Champions League. Und doch zeigte Bitters Reaktion am Montag eindrücklich, wie wenig der aktuelle Zweitliga-Tabellenführer noch mit dem schrillen, aber überaus erfolgreichen Glamourclub von damals zu tun hat. „Das war eine andere Zeit, damit habe ich abgeschlossen. Wir hatten damals ein geiles Ende, im Dezember haben wir die halbe Liga auseinandergenommen – und dann war halt Schluss. Das war in dem Moment traurig, ist jetzt aber auch schon lange her“, sagte Bitter.

Um den Wandel des HSVH zu verstehen, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Als der ehemalige Präsident und Mäzen, Andreas Rudolph, Hamburgs Handballer von 2005 an regelmäßig mit Millionenspritzen versorgte, begann der Verein in ganz Deutschland zu polarisieren. Wer den HSV nicht liebte, der hasste ihn. Geld war reichlich vorhanden, die Spitzenspieler verdienten zwischen 34.000 und 38.000 Euro brutto im Monat. Bis zur Insolvenz Ende 2015 soll Rudolph rund 50 Millionen Euro investiert haben, zeitweise betrug der Hamburger Saisonetat stramme elf Millionen Euro. Das Gehaltsniveau in der gesamten Bundesliga stieg um ein Drittel an, zum Unmut vieler Konkurrenten. Noch heute erzählt man sich, wie Rudolph „seine“ Mannschaft auf sein Anwesen auf Mallorca einfliegen ließ und rauschende Feste feierte.

Der HSV Handball stand durch Rudolph, der für die Bundes­ligalizenz bürgte, für Glamour und Exzen­trik – aber eben auch für Spitzenhandball. Als er 2015 ging, sackte wenig später auch der HSV Handball insolvent in sich zusammen.

Nachdem sich der Verein in der Drittligasaison 2016/17 wieder berappelte, müssen die HSVH-Verantwortlichen umso mehr auf ihre Seriosität achten. Trainer Torsten Jansen setzt seit dem Neustart konsequent auf Talente aus dem eigenen Nachwuchs, der Verein ist zur Bodenständigkeit zurückgekehrt.

Heute steht der HSVH trotz Corona wirtschaftlich auf gesunden Beinen. Auch weil umworbene Leistungsträger wie Leif Tissier und Niklas Weller ihre Verträge verlängerten, scheint die Rückkehr in die Erste Liga nur eine Frage der Zeit zu sein. Als Jansen am Mittwoch nach dem 24:21-Heimsieg gegen Bietigheim auf die überraschende Niederlage von Aufstiegskonkurrent VfL Gummersbach angesprochen wurde, zuckte er nur stoisch mit den Augenbrauen. Für den abgeklärten HSVH-Coach fast eine Art Gefühlsausbruch.

Wie fragil der reingewaschene Ruf trotzdem noch sein kann, erlebten die HSVH-Verantwortlichen, als sie in der vergangenen Woche Torwart Jens Vortmann (33) vom Ligakonkurrenten Wilhelmshavener HV verpflichteten. Die WHV-Verantwortlichen warfen dem HSVH durch die Kurzfristigkeit des Deals Unprofessionalität und Dilettantismus vor – wohl ohne wirkliche Grundlage. Tatsächlich deutet im Nachhinein vieles auf ein Kommunikationsproblem innerhalb der WHV-Verantwortlichen hin. Und doch reagierten einige WHV-Anhänger und -Anhängerinnen im Internet entsprechend angesäuert. „Typisch Hamburg“, meinte einer. „Kennt man ja von denen“, schrieb ein anderer.

Auch HSVH-Präsident Marc Evermann betont, dass der Verein zurück in die Erste Liga wolle – allerdings „ohne sich dabei den Hals zu brechen“. Dass abgesehen vom Bitter-Transfer, den Evermann als „logischen Schritt und Teil des Masterplans“ bezeichnet, mit Martin Schwalb als Sportchef im Sommer eine weitere Person aus vergangenen Zeiten zurückkehren wird, ist kein Anlass zur Sorge. Ganz im Gegenteil: „Hier entsteht etwas ganz Neues und Gutes“, sagte Johannes Bitter zu seinem Wechsel.