Hamburg. Die Marke von 1000 Corona-Toten in Hamburg sollte eine Erinnerung für jeden sein. Politik steht in der Verantwortung.

Es ist gut zehn Monate her, dass die Lichter ausgingen: Der Senat tagte im Rathaus und beschloss angesichts von Corona den ersten Lockdown. Keine Feiern mehr, keine Konzerte, keine alltäglichen Einkaufsbummel. Virologen waren plötzlich auf allen Kanälen, und dieselbe Frage füllte jedes Wohnzimmer, jede Zeitung, jedes Gespräch: Wie schlimm wird es uns in Hamburg treffen?

Nun haben wir eine Antwort, die bitter stimmt, obwohl wir längst nicht am Ende dieser Krise angelangt sind. Mehr als 1000 Menschen in Hamburg sind an oder mit einer Covid-19-Infektion gestorben. Es darf keine dieser alltäglichen Corona-Nachrichten sein, die halb an uns vorbeirauschen, weil der Kopf schon dröhnt. Es muss ein Moment sein, um innezuhalten, um Anteil zu nehmen.

In einer Pandemie ist es wie bei Geldsummen

Das ist nicht leicht. In einer Pandemie ist es wie bei Geldsummen: Je höher die Zahlen steigen, desto schwieriger sind sie zu erfassen. Sie werden abstrakt. Aber hinter den Zahlen stehen Leben, Leben in allen Facetten. Menschen, die Großmütter waren oder Großväter, Brüder oder Schwestern, beste Freunde und Kümmerer, Liebende und Geliebte. Ihre Angehörigen und Hinterbliebenen wissen das schmerzlich genau. Sie müssen auch damit weiterleben, wie diese Menschen gestorben sind.

Der Großteil von ihnen verstarb allein in einem Pflegeheim oder einem Krankenhaus, angeschlossen an Maschinen nach wochenlangem, manchmal monatelangem Ringen mit dem Virus. Umgeben von Ärztinnen und Pflegern mit maskierten Gesichtern und Schutzkleidung. Wer mit ihren Liebsten gesprochen oder eine Corona-Station vor Ort gesehen hat, der ist selbst verändert und schaut anders auf diese Krise.

 Wir alle sind müde

Der kann verstehen, welchen weiteren Schmerz es den Angehörigen bereitet, im Fernsehen die Verharmloser zu sehen oder jene, die sagen, die Betroffenen wären ohnehin bald gestorben. Manchmal scheint es, als würden diese Stimmen lauter. Und auch die Relativierungen häufiger. Man müsse doch mal „ins Verhältnis setzen“, wie viele Todesopfer schon eine herkömmliche Grippewelle fordere. Man müsse bedenken, wie hoch das Durchschnittsalter der Verstorbenen sei. Beides ist inmitten des zweiten Lockdowns so erklärbar wie falsch. Es verbietet sich immer, menschliches Leben gegeneinander aufzurechnen. Oder sich das Urteil anzumaßen, wie wertvoll das restliche Leben eines älteren Menschen noch war.

Vielleicht ist es für den Einzelnen die größte Herausforderung in dieser Pandemie, unter dem Druck des Alltags nicht nachzugeben und abzustumpfen. Wir alle sind müde. Im Homeoffice klettern Kinder über Schreibtische, in Familien gibt es Streit, manche haben nur Kurzarbeitergeld auf dem Konto, viele sitzen allein daheim oder versuchen mit Spaziergängen, bei Verstand zu bleiben. Auch die Empathie für die Situation aller Hamburger, die diesen Lockdown nicht locker wegstecken, kommt im Nachrichtengewitter aus Ministerpräsidentenrunden, Mutationen und neuen Regeln oft viel zu kurz.

Es werden harte Monate bis zum Ende dieser Krise

Nur verlangen auch die Angehörigen der 1000 Verstorbenen keine tägliche Andacht oder andere Gesten. Es reicht vorerst, vernünftig zu bleiben, um die Opfer dieser Pandemie zu ehren. Durchzuhalten, ohne die Gesundheit anderer Menschen zu riskieren. Im besten Fall erinnert uns die Marke der Todesopfer daran, wofür wir auf so viel verzichten.

Wer Verantwortung in der Politik trägt, erhält ein weiteres Warnsignal, wie viel noch zu tun ist. Bloß auf mehr Impfungen zu warten wäre fatal. Es werden harte Monate bis zum Ende dieser Krise. Wenn die Lichter endlich wieder angehen, wird es Zeit sein zu feiern. Und der Verstorbenen auch öffentlich in einem angemessenen Rahmen zu gedenken.