Wie ein paar potenzielle Abweichler bei den Demokraten die Politik des neuen US-Präsidenten durchkreuzen könnten.

Kennen Sie Joe Manchin? Falls nicht, empfehle ich, den Mann aus dem Bundesstaat West Virginia in den kommenden Wochen genauer in Augenschein zu nehmen. Der 73-Jährige wird maßgeblich darüber mitentscheiden, ob Joe Biden messbaren Erfolg hat. Oder ob der neue Präsident der Vereinigten Staaten im Räderwerk der Washingtoner Demokratie- Fabrik zerrieben wird; obwohl er sie so gut kennt wie kaum ein anderer.

Manchin ist Senator. Und Demokrat. Und der lebende Gegenbeweis zur betörenden Amanda Gorman, die Bidens Amtseinführung (und für ein paar Minuten das ganze Land) mit ihrer Poesie verzauberte. Joe Manchin kommt aus der Ecke, wo man ein anderes Motto praktiziert: Regiert wird in Prosa. Und die sieht für Biden und die Demokraten weniger rosarot aus, als es an der Oberfläche den Anschein hat. Zwar ist die Partei in allen drei Säulen des Systems – Weißes Haus, Repräsentantenhaus und Senat – tonangebend. Aber die Mehrheiten sind knapp.

Ein paar Abweichler in den eigenen Reihen, denen Bidens Politik zu weit links ist oder nicht links genug, können alles durchkreuzen. Das gilt vor allem für den Senat. Dort stehen 50 „Dems” 50 „Reps” gegenüber. Entsteht dort entlang eiserner Fraktions-Disziplin ein Patt, macht Kamala Harris den Unterschied.

Die neue Vizepräsidentin steht dem Senat vor. Sie hat in dieser Konstellation das letzte Wort. Vorausgesetzt, a) es handelt sich um Beschlüsse, die mit einfacher Mehrheit (51 Stimmen) getroffen werden können und b) Leute wie Joe Manchin stellen sich nicht quer. Der rechts-konservative Demokrat gilt als unsicherer Kantonist. Nicht nur mit Blick auf Bidens Zwei-Billionen-Dollar- Hilfspaket gegen die Corona-Pandemie.

Manchin hat sich auch als bisher einziger Prominenter in seiner Partei un- missverständlich gegen die Neutralisierung eines Verfahrenstricks gewendet, von dem künftig noch einiges zu hören sein wird – der Filibuster. Mit diesem Endlos-Rederecht kann die Abstimmung über ein Gesetz aufgeschoben und letztlich komplett verhindert werden. Nur wenn 60 von 100 Senatoren der Geduldsfaden reißt, kann die machtpolitisch motivierte Verzögerung im Gesetzgebungsprozess beendet werden.

Zehn Republikaner zu finden, die mit den 50 Demokraten votieren würden, um ein Biden-Projekt durchzusetzen, erscheint in der aktuellen Gemengelage als außerordentlich verwegen. Und eine komplizierte Behelfslösung („reconciliation” = Versöhnung) hätte auch ihre Tücken. In der demokratischen Partei und der begleitenden Publizistik ist darum ein Richtungsstreit über die Frage entbrannt, ob man (mit Kamala Harris im Rücken) den Filibuster nicht einfach kippen sollte.

Eine Denkschule sagt, Biden hat nur zwei Jahre – bis zur Zwischenwahl im Kongress 2022 – Zeit, um nachhaltig Neues in Bewegung zu setzen. Dabei auf die Mitarbeit einer zwischen Trump-Hörigkeit, Rachegelüsten für eine verlorene Wahl und Sinnsuche pendelnden republikanischen Partei zu hoffen, kann man vergessen. Als Indiz für kommende Blockaden wird herangezogen, dass die Republikaner nach der unter Trump exorbitant gewachsenen Staatsverschuldung fiskal plötzlich wieder konservativ tun und Bidens Corona-Hilfen als insgesamt zu teuer ablehnen.

Für Joe Biden wird das der Knackpunkt. Um schnell Glaubwürdigkeit in der Wählerschaft zu erlangen, muss er besser heute als morgen materiell liefern, weil der ökonomische Leidensdruck in weiten Teilen der Bevölkerung ständig wächst. Ergo sagen Berater: Weg mit dem Filibuster! Durchregieren! Sofort!

Die Gegner warnen vor Bumerang- ähnlichen Folgen, falls in naher Zukunft die Republikaner wieder Mehrheiten erringen sollten. Zu den Skeptikern gehört auch der auf nationale Befriedung und darum auf, wo immer möglich, überparteilich getragene Konsens-Lösungen setzende Präsident. Joe Biden ist ein Geschöpf des Senats, in dem er 36 Jahre ge- wirkt hat. Er gibt sich optimistisch, für zentrale Vorhaben Republikaner auf seine Seite ziehen zu können. Im Idealfall so viele, dass man auch einen potenziellen Abweichler wie Joe Manchin verkraften könnte. Bidens Zuversicht in allen Ehren: Unter allen Herkules-Aufgaben, die auf den 46. US-Präsidenten warten, wird das die schwerste.