Hamburg. In seiner neuen Kolumne „Politik auf der Couch“ befasst sich Hajo Schumacher mit der Psychologie von Politik.

Als gelernter Geheimdienstler weiß Wladimir Putin um die Macht der psychologischen Kriegsführung. Mit absichtsvollem Grinsen lässt er die schwarze Labradorhündin „Koni“ ins Prunkzimmer, als die junge Kanzlerin 2007 auf Staatsbesuch in Moskau weilt. Putin kennt Angela Merkels Hundetrauma. In Uckermärker Jugendtagen war sie von Jagdhund „Betty“ gebissen worden. Merkel ahnte wiederum: Wenn sie jetzt vor „Koni“ kuscht, hat Putin sein Machtspiel gewonnen. Tapfer steht sie die Folter durch, um dem stolzen Putin später eine Schachtel Pralinen als Gastgeschenk mitzubringen. Der Machomann im Kreml verstand die Botschaft: Konfekt für ein Weichei, das sich fürs traditionelle Sommerfoto mit einem Tiger hatte knipsen lassen, der fürs Bild betäubt worden war.

Kleinigkeiten angesichts der Weltgeschichte? Aber nein: Symbolisches Handeln wirkt, vor allem un- und unterbewusst, und kann Respekt schaffen, der in harten Verhandlungen hilft. So wie ein Kniefall im richtigen Moment mehr für die internationalen Beziehungen leistet als tausend Verhandlungsstunden, ein auf den Plenumsboden gefeuerter Blumenstrauß mehr sagt als empörte Reden und das Verweigern von Händchenhalten machterschütternder wirken kann als ein Flugzeugträger.

Willkommen auf dem glatten Brett der politischen Psychologie

Willkommen auf dem glatten Brett der politischen Psychologie, einer Lehre, die scheinbar Unbegreifliches zu erklären versucht: Warum entscheiden sich im Jahr 2020 Millionen auch Afro-Amerikaner und Frauen für einen Präsidenten, der sie scheinbar vernachlässigt? Was ist so attraktiv an einer zutiefst unliberalen Identitätspolitik? Warum ist eine Fliege auf der Stirn beim Fernseh-Duell aufregender als jeder politische Entwurf? Und warum klingt ein Satz wie „Vom Ich zum Wir“ bei den einen völlig harmlos, bei sozialistisch erzogenen Menschen dagegen wie eine Drohung?

Die politische Psychologie behandelt das Erleben und Verhalten von Wählenden und Politikschaffenden, ihre Herkunft, ihr Menschenbild und ihre oftmals blinden Flecken wie Scham, Angst oder Bedürfnisse. Wie gern wären wir vernunftgesteuerte Wesen – wie oft aber rechtfertigt unsere Vernunft nur das, was wir längst vorher instinktiv entschieden haben. Muss jeder zum Arzt, der an Visionen leidet, wie Helmut Schmidt einst meinte? Nein. Es ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die unseren Stift in der Wahlkabine lenkt.

Guter Vorsatz für das neue Jahr: Erst verstehen, dann bewerten

Im Superwahljahr 2021 werden wir – Medien, Politik und Publikum – uns wieder über das Oberflächengekräusel empören, das fälschlicherweise „Debatte“ genannt wird. Diese Kolumne will einen Kontrapunkt setzen. Anhand von neuesten Forschungsergebnissen, von Neurowissenschaft bis Epigenetik, werden bewährte und neue Thesen und Ansätze vorgestellt, die uns auf die Probe stellen: Besitzt Donald Trump womöglich mehr psychologisches Geschick als seine Kritiker? Sind Emotionen wirklich Schwächen? Wie gehen wir mit der Paradoxie um, dass wir uns „Ecken und Kanten“ wünschen, um kantige Typen umgehend in die Ecke zu stellen? Warum debattierten Holocaust-Überlebende, Liberale und Altnazis vor gut 50 Jahren zivilisiert über Radikalismus, während heute ausgeladen wird, wer nicht passt?

Ja, die Psychologie ist ein glattes Brett. Wer jeden seiner Fimmel mit einer bösen Mutti erklärt, für schlechtes Benehmen ausschließlich die Umstände heranzieht oder den Menschen generell als Opfer betrachtet, versteht Wissenschaft nicht, sondern missbraucht sie. Zugleich können psychologische Ansätze dabei helfen, Komplexes zu erklären, vor allem das eigene widersprüchliche Ich sowie das unserer Mitmenschen. Ziel dieser Kolumne ist nicht kollektives Kopfnicken, sondern Erkenntnisgewinn, der bisweilen über Widerstände führen mag. Aber das macht nichts. Guter Vorsatz für das neue Jahr: Erst verstehen, dann bewerten. Umgekehrt ist es leichter, aber leider meistens falsch.

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