Hamburg.

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar ist ein selbstbewusster Mann. Engagiert bringt er sich für den Datenschutz ein – aber Kritik ist seine Sache nicht. In einem bemerkenswerten Vorgang kommentierte er am Freitag in einer Aussendung der Senatspressestelle einen Kommentar im Hamburger Abendblatt vom vergangenen Sonnabend. Darin ging es vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie um die Grenzen des Datenschutzes.

Um Johannes Caspar ging es dabei nicht direkt, er tauchte nicht einmal namentlich auf, nur in Bezug auf einige seiner Entscheidungen. Da überrascht die Reaktion des Mannes. Am Montag beschwerte er sich in einem langen Schreiben beim Chefredakteur des Abendblatts. Den persönlichen Brief schickte der Sprecher des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (sic!) aber an einen breiten Verteiler, auf den mehrere AbendblattKolleginnen und Kollegen Zugriff haben. Einen Tag später ging ein weiteres Beschwerdeschreiben an die Verlagsführung in Essen – offenbar, um den Druck zu erhöhen.

In beiden Briefen wird auf den Presserat verwiesen und gedroht, man behalte sich weitere Schritte vor. Unverständnis zeigt Caspar, nicht vorher gehört worden zu sein. Ob bald auch jeder Kommentar zum Klimawandel erst dann erfolgen darf, wenn man E.on, RWE und Vattenfall befragt hat?

Zu diesem Zeitpunkt wird der Meinungsbeitrag im Internet und unter Lesern breit diskutiert und Dutzende Male geteilt. Die Zuschriften ans Abendblatt sind zu mehr als 90 Prozent zustimmend. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer veröffentlicht die Kolumne auf seiner Facebook-Seite und schreibt: „Ein treffsicherer Kommentar des Hamburger Abendblatts zur Absurdität des Datenschutzes in Zeiten von Corona.“ Es gibt positive Anmerkungen von vielen Journalisten, Politikern – auch ein Hamburger Staatsrat drückt seine Zustimmung mit einem Like aus.

Kritik kommt nur sehr vereinzelt. Caspar schreibt den Autor des Stücks weiterhin nicht an. Stattdessen greift er zu einem seltsamen Format. Er unterzieht das Meinungsstück (!) in einer Presseerklärung vom Freitag einem subjektiven „Faktencheck“, „um Tatsachen von bloßen Behauptungen zu trennen“. „Auf diese Weise mag es gelingen, eine versachlichte Basis für die öffentliche Diskussion zu erzeugen“, schreibt Caspars Behörde. Und legt los: „Überall werden wegen der Corona-Pandemie Grundrechte eingeschränkt – mit einer Ausnahme“, zitiert sie die Abendblatt-Kolumne und antwortet: „Dass derzeit überall in Grundrechte eingegriffen wird, nur nicht in das Grundrecht auf Datenschutz, ist in dieser Pauschalität falsch. Einschränkungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung finden derzeit massenhaft statt: zur Datenübermittlung und -speicherung bei der Nachverfolgung von Infektionsketten sowie bei der Meldung von Infizierten und Personen, die aus Risikogebieten einreisen. Zudem besteht die Pflicht aller Menschen, bei Aufsuchen von Einrichtungen des täglichen Lebens stets ihre Kontaktdaten zu hinterlassen.“ Und so weiter.

Dann wird die Einschätzung des Kommentars kritisiert, die Corona-App sei „wertlos“. Auch das darf man offenbar nicht mehr schreiben, wenn es nach dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit geht. Ob Caspar auch schon Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder geschrieben hat? Der hatte die App unlängst als „zahnlosen Tiger“ bezeichnet.

Einen weiteren Punkt kritisiert der „Faktencheck“ – den Verweis auf ein KI-Forschungsprojekt, das am Datenschutz scheiterte. Um die Quellen zu schützen, hat das Abendblatt bisher von einer Veröffentlichung abgesehen. „Trotz eines Schreibens an die Redaktion des Hamburger Abendblattes ist bislang hierzu wie auch zu anderen Punkten keine Klarstellung erfolgt“, heißt es weiter. Geduld, Herr Datenschutzbeauftragter!

Bitter beklagt sich der „Faktencheck“ über die Formulierung: „Unvergessen, wie der Hamburger Datenschutzbeauftragte die Polizeiarbeit nach den G-20-Krawallen behindern wollte und allen Ernstes forderte, die Fahndungsdatei zu Gewalttätern zu löschen.“ Die Forderung nach der Löschung von Fahndungsdaten von Gewalttätern sei nie erhoben worden, heißt es nun. Ach? Bis heute steht unbeanstandet von Caspar etwa im Archiv der „taz“: „Das Verwaltungsgericht wischt die Anordnung des Hamburger Datenschutzbeauftragten, die G-20-Fahndungsdatei zu löschen, vom Tisch.“

Der Fall liege vor dem OVG Hamburg und hat noch keine abschließende Entscheidung gefunden, heißt es weiter. Das stimmt – aber die Niederlage vor dem Verwaltungsgericht im Dezember wird verschwiegen. Vielleicht reichte der Platz des „Faktenchecks“ nicht. Es kommen weitere Punkte, die wir gern bald einmal darstellen. Der „Faktencheck“ endet mit einem persönlichen Resümee von „Prof. Dr. Johannes Caspar: In großen Teilen hält der Beitrag dem Faktencheck nicht stand.“ Wenn jetzt der Datenschutzbeauftragte die Pressestelle des Senats für seine persönliche Medienkritik benutzt, dürfte das eine spannende Debatte über sein Verständnis zur Pressefreiheit auslösen.

In den Behörden schwankt man zwischen Fassungslosigkeit und Entsetzen über die skurrile Erklärung. Die erste Solidaritätsadresse aus einer Hamburger Behörde erreichte den Kommentator nach vier Minuten: „Sie haben einen neuen Freund, ;-) Ich fand Ihren Beitrag sehr lesenswert.“ Die Senatspressestelle muss sich diplomatisch äußern: „Der Datenschutzbeauftragte ist unabhängig. Die Pressestelle des Senats und damit auch der Senatssprecher nehmen keinen Einfluss auf den Inhalt der Mitteilungen, die vom Datenschutzbeauftragten mit der Bitte um Versand an die Nachrichtenabteilung geschickt werden.“