Für die Grünen war es keine gute Woche: In der moralisch aufgeladenen Debatte müssen sie sich an der eigenen Moral messen.
Die Grünen sind die vermutlich erfolgreichste politische Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik. Aus dem bunten Haufen von Oppositionellen, die sich in den 1970er-Jahren aus versprengten K-Gruppen, rechten Ökos, vor allem aber der Friedens-, Umwelt- und Frauenbewegung zusammenrauften, ist eine mächtige Strömung geworden. Mit Annalena Baerbock oder Robert Habeck werden die Grünen im September erstmals mit einem Kanzlerkandidaten in die Bundestagswahl ziehen.
Wichtiger noch: Sie haben sich nicht nur als Partei mehrfach gehäutet, sondern auch Gesellschaft, Medien, Kirchen und Gerichte geprägt. Zwei Entwicklungen sind eng mit dieser Erfolgsgeschichte verbunden: Politik ist anders als noch vor Jahrzehnten viel stärker moralisch aufgeladen. Und das alte Schlagwort der Frauenbewegung, „Das Private ist politisch“, ist inzwischen gelebte Praxis.
Hummeressen: Justizsenatorin Gallina in der Kritik
Ausgerechnet diese gesellschaftlichen Grundverschiebungen könnten den Grünen auf die Füße fallen – man fühlt sich an Goethes Ballade vom Zauberlehrling erinnert: „Die ich rief, die Geister/werd ich nun nicht los.“ In dieser Woche musste Hamburgs grüne Justizsenatorin Anna Gallina sich erneut kritische Fragen gefallen lassen. Genüsslich werden peu à peu pikante Details aus den Ermittlungen gegen ihren früheren Lebensgefährten Michael Osterburg durchgestochen.
Der einstige Grünen-Fraktionschef in Mitte steht unter Verdacht, Fraktionsgelder veruntreut zu haben. So soll er Restaurantbesuche, Heimelektronik und sogar Strafzettel über Steuermittel bezahlt haben. Die Grünen wären in diesem Fall Opfer eines Betruges. Aber welche Rolle spielte seine frühere Lebensgefährtin Gallina – bekam sie vom Spesenzirkus so gar nichts mit?
Für die Opposition fallen angesichts immer haarsträubenderer Vorwürfe Weihnachten und Ostern längst auf einen Tag – und gefeiert wird jede Woche. Bei einer gemeinsamen Reise nach Malta, so berichtete nun die „Bild“-Zeitung, soll gar ein Hummerdinner auf der Insel aus Fraktionsmitteln bezahlt worden sein. Genau diese Reise war in der Öffentlichkeit bis dato ganz anders wahrgenommen worden.
Nach der Rettung gab es ein gemeinsames Essen
Die Landesvorsitzende der Grünen Gallina war 2017 nach Malta geflogen, um Flüchtlingen zu helfen – ihr Herzensanliegen. Der geplante längere Aufenthalt auf dem Rettungsschiff „Sea Eye“ entfiel wegen eines Maschinenschadens. Hübsche Fotos mit geretteten Kindern gab es trotzdem. „Ich will die Situation selbst sehen, will unmittelbar helfen“, sagte Gallina damals.
Nach der Rettung gab es ein gemeinsames Essen – wenn die betreffende Osterburg-Rechnung über 250 Euro stimmt, waren es ein paar Hummer und andere Köstlichkeiten mehr. Inzwischen hat sich Gallina entschuldigt, sie selbst habe keinen Hummer gegessen. Jedem sei ein gutes Essen gegönnt; aber wenn das Private politisch ist und die Moral regiert, darf man sich über Kritik nicht wundern. Wie schon Kurt Tucholsky formulierte: „Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt, muss sich gefallen lassen, dass seine Treffer gezählt werden.“
In dieser Woche hatte auch der baden-württembergische Verkehrsminister Franz Untersteller seinen Auftritt auf der Kegelbahn Deutschland. Mit 177 Sachen raste der emsige Kämpfer für ein Tempolimit über die Autobahn 8. Dummerweise waren dort nur 120 Kilometer pro Stunde erlaubt. Besonders schön war die Entschuldigung des grünen Ministers. „Ich war unterwegs zu meiner Familie und hatte es eilig.“ Klar doch.
Verkehrssenator Anjes Tjarks ist die Ausnahme
Vor Jahren lachte man noch über die grüne Spitzenpolitikerin, die gerne mit dem Porsche durch Hamburg fuhr, um kurz vor ihrem Ziel aufs Damenrad oder den Fiat umzusteigen. Der aktuelle grüne Umweltsenator Jens Kerstan, ein konsequenter Streiter für Durchfahrverbote und Klimaschutz, trägt den Spitznamen „Malle-Jens“, weil er gern auf die familieneigene Finca auf den Balearen reist – und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank ist privat auch gern hochmotorisiert unterwegs. Fast schon eine Ausnahme ist da Verkehrssenator Anjes Tjarks: Er fährt konsequent Rad.
Nun sind alle Menschen fehlbar – das moderne Leben bringt Inkonsequenzen mit sich. Ein Politiker muss weder in ein Baumhaus ziehen noch Veganer werden, um einen anständigen Job zu machen. Aber wer Moral zu einer politischen Kategorie erhebt, wird kritischer beäugt. Trost vermag am Ende Theodor Adorno zu spenden. Er wusste früh: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“