In Zukunft muss differenzierter betrachtet werden, welche Bereiche des Lebens wirklich wichtig und welche gefährlich sind.
Man könnte den Zeitpunkt kritisieren, den die Hamburger Top-Sportvereine für die Verkündung ihres Forderungskatalogs gewählt haben. Öffnungen für den Sport voranzutreiben, während das Land in den zweiten harten Lockdown hineinstolpert, mag unsensibel, vielleicht gar unvernünftig wirken. Doch zum einen stellten die Sprecher der 29 Clubs, die mehr als 175.000 der rund 521.000 im Hamburger Sportbund (HSB) organisierten Mitglieder repräsentieren, klar, dass das komplette Herunterfahren der Gesellschaft als Ausnahmezustand selbstverständlich auch für alle Bereiche des Sports akzeptiert werden muss.
Zum anderen aber gilt es insbesondere in Krisenzeiten, und diese Pandemie entwickelt sich immer mehr zur schwersten Krise seit Jahrzehnten, sich mit Lösungsansätzen zu beschäftigen, um die Talsohle möglichst schnell hinter sich lassen zu können. Genau da setzen die Vorschläge, die Hamburgs mitgliederstärkste Clubs in Kooperation mit dem HSB erarbeitet haben, an. Im Mittelpunkt steht das, was bei zu vielen verordneten Maßnahmen in den vergangenen Monaten zu kurz gekommen ist: eine differenzierte Betrachtung des Infektionsgeschehens.
Organisierter Sport ist kein Infektionstreiber
Weil das Virus in der aktuell so gefährlichen Form erst kurz existiert, fehlen in vielen Bereichen langfristige Untersuchungen. Doch dass das Ausüben von organisiertem Sport kein Infektionstreiber ist, darüber herrscht Einigkeit. Wenn Boris Schmidt, Geschäftsführer der TSG Bergedorf, belegt, dass in seinem Verein über Monate bei mehr als 800 Sportangeboten pro Woche, allesamt einzeln mit Kontaktnachverfolgungslisten dokumentiert, keine einzige Anfrage der Gesundheitsämter zu verzeichnen war, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass die vom Sport geforderten Hygienekonzepte gegriffen haben.
Dennoch liegt der Breitensport in Hamburg seit Wochen brach. Mit fatalen Folgen nicht nur für die Mitgliederentwicklung und daraus resultierend die finanzielle Lage in den Vereinen. Sondern vor allem für das gesellschaftliche Miteinander sowie die physische und psychische Gesundheit gerade junger Menschen, die unter den Folgen von Lockdowns stärker leiden, als sie es unter einer Infektion mit Corona täten. Dies ist mitnichten ein Kleinreden des Virus, sondern das Anerkennen dessen, was viele Ärzte, die nicht Virologen sind, aus ihren Praxen berichten. Von einem signifikanten Anstieg psychischer und motorischer Probleme, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, ist zu hören. Erschreckende Todesfallzahlen sind in diesen Tagen das Argument, das nicht zu widerlegen ist. Die Schäden indes, die manche Maßnahmen zu deren Eindämmung verursachen, sind noch gar nicht zu beziffern.
Hallensport in Corona-Zeiten: So kann es gehen
Umso wichtiger ist eine differenzierte Einordnung dessen, was verboten werden und geboten sein sollte. Sport, da hat Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, recht, muss endlich als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems betrachtet werden. Die Einsicht, welch enormen Wert sportliche Betätigung für die Gesunderhaltung der Menschen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft besitzt, ist in der Hamburger Politik zum Glück angekommen, was der Masterplan „Active City“ unterstreicht. Im Bund, so der Eindruck, fehlt diese Einsicht.
Was zu tun wäre, nachdem der harte Lockdown hoffentlich schnell als Infektionsbremse gewirkt hat? Kinder und Jugendliche, denen die Struktur dafür fehlt, allein aktiv sein zu können, müssen draußen wieder uneingeschränkt gemeinsam Sport treiben dürfen, solange sie gemeinsam zur Schule gehen können. Dort, wo im Hallensport die Einhaltung von Abstandsregeln oder gar das Tragen von Masken möglich ist, muss er schrittweise – abgestuft nach Infektionszahlen oder für festgelegte, nicht wechselnde Gruppen – erlaubt werden. Vor allem aber braucht es einen gesellschaftlichen und politischen Konsens darüber, dass organisiert durchgeführter Sport wichtiger ist als andere Bereiche des Lebens, die deutlich länger geöffnet waren oder gar noch sind. Weil er nicht nur auf das Geselligkeitskonto einzahlt, sondern vor allem die Gesundheit fördert. Und das sollte bei der Bekämpfung einer Pandemie oberste Priorität genießen.