Hamburg.

Beginnen wir mit einem Geständnis: Auch wir haben es getan – bestellt beim Versandmulti Amazon. Aber es geschah notgedrungen. Zunächst lief die Order eines Spielerechners über einen deutschen Hersteller. Doch dann begann sich die Lieferung immer weiter zu verzögern. Am Ende räumte der Anbieter am Telefon ein: „Wenn Sie den PC schnell bekommen möchten, müssen Sie bei uns über Amazon bestellen.“ Was zuvor in Wochen nicht ging, lief über den Marktplatz des Multi binnen 48 Stunden.

An Amazon führt eben kein Weg mehr vorbei – der Anteil des Online-Multis aus Seattle wächst in Deutschland immer weiter. Als Nummer eins macht das 1994 gegründete Unternehmen allein so viel Umsatz wie die neun Verfolger. Knapp die Hälfte des gesamten Onlinehandels dominiert das Unternehmen.

Amazon verdreifachte Gewinn dank Corona

Umsatz macht Amazon nicht nur über den direkten Verkauf, sondern auch als gigantischer Marktplatz für Dritthändler. Die Pandemie hat beiden Geschäftsfeldern einen enormen Schub verliehen: Das Unternehmen steigerte seinen Umsatz im dritten Quartal 2020 um 37 Prozent auf 96,1 Milliarden Dollar, der Gewinn verdreifachte sich auch dank Corona auf fabulöse 6,3 Milliarden Dollar.

Superlative, wohin man schaut: Weltweit arbeiten 1,2 Millionen Menschen für Amazon – 50 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. „Wir verwandeln uns in ein Amazon-Land“, sagte die „New York Times“-Kolumnistin Margaret O’Mara. Die Aktie des Unternehmens hat sich binnen Jahresfrist um 65 Prozent verteuert. Amazon-Gründer Jeff Bezos nennt einen dreistelligen Milliardenbetrag sein Eigen und ist der reichste Mann der Welt. Noch so ein Superlativ.

Der Reichtum des einen hat mit der Armut vieler zu tun

Also alles super? Eher nicht. Denn der Reichtum des einen hat mit der Armut vieler zu tun. Gewerkschaften kritisieren seit Langem Bezahlung und Behandlung der Beschäftigten. „Amazon ist der Lohndrücker der Branche, denn während Otto und andere faire Löhne bezahlen, hält man bei Amazon scheinbar wenig von gerechter Bezahlung“, heißt es etwa bei Ver.di.

Auch sonst stellt sich die Frage, wie die wundersame Gewinnvermehrung gelingt; so sind die legalen Steuersparmodelle von Amazon legendär. Der Konzern macht sich die egoistischen Regelungen vieler EU-Staaten wie Irland, Luxemburg oder der Niederlande zunutze, um in zentralen Märkten günstiger davonzukommen. Offiziell zahlte Amazon 2019 in Deutschland bei Einnahmen von 19,9 Milliarden Euro überschaubare 261 Millionen Euro an den Staat – da waren praktischerweise die Sozialabgaben der Beschäftigten schon mit einberechnet.

Die Steuerfrage ist relevant, weil es eben keine Gerechtigkeit gibt – der Händler um die Ecke kann kein irisches Sparmodell nutzen, er bezahlt aber ausgebildete Fachkräfte und eben keine Aushilfen. Und er sorgt für Leben in den Straßen: Wer die monströsen Verteilerzentren an den Autobahnen für ästhetisch hält, darf gern weiter bei Amazon einkaufen. Wer sich um die Städte und ihre Identität sorgt, sollte noch einmal nachdenken.

Einzelhändler haben keine Lobby mehr

Leider hat die Politik kaum nachgedacht – die gut gemeinte Mehrwertsteuersenkung war ein Geschenk der Regierung an den Multi, sodass man fast an den Teufel und den Haufen denken muss. Onlinehändler können einfach, werbewirksam und punktgenau die Steuersenkung weitergeben, während der Einzelhandel mühsam darauf reagieren muss.

Überhaupt scheinen die Einzelhändler keine Lobby mehr zu haben: Die verschärften Corona-Regeln machen das Einkaufen noch unattraktiver – und am ersten Adventssonnabend bestreikte ausgerechnet Ver.di die Hochbahn, also exakt die Gewerkschaft, die Verkäufer vertritt. Die großen Parteien halten sich vornehm zurück, es ist ja so praktisch, bei Amazon einzukaufen.

Immerhin: Die Grünen fordern zur Unterstützung des Handels in der Corona-Krise Gutscheine für alle, und der CDU-Wirtschaftsrat hat ein gutes Acht-Punkte-Papier vorgelegt. Am konsequentesten ist Die Linke. Co-Fraktionschef Martin Schirdewan im Europäischen Parlament hat die Online-Petition „Weihnachten ohne Amazon“ gestartet: „Sterbende Innenstädte, schlechte Arbeitsbedingungen, Gewerkschaftsfeindlichkeit, Bespitzelung von Mitarbeiterinnen und politischen Gegnerinnen, Steuervermeidung und schlechte Löhne trotz Rekordgewinnen: Es gibt viele Gründe, dieses Jahr die Weihnachtsgeschenke nicht bei Amazon zu bestellen.“ Wohlan!