Kammerrebellen Annett Nack-Warenycia und Torsten Teichert rechnen mit neuem Handelskammer-Präses ab.

An dieser Stelle riefen Handelskammer-Präses Norbert Aust und der neue Geschäftsführer Malte Heyne in einem Gastbeitrag zu „Lust auf Visionen“ auf. Nun antworten die Kammerrebellen Annett Nack-Warenycia und Torsten Teichert

Die Corona-Krise hat auch ihre komischen Seiten. Der neue Hauptgeschäftsführer der Handelskammer und der Präses haben eine fast revolutionäre, übers Rebellische weit hinausgehende Forderung gestellt: „Wir brauchen neue Ideen und Lust auf Visionen.“

Man traut seinen Ohren nicht. Nichts war in der Kammer mehr verpönt als der von Helmut Schmidt lustvoll diskreditierte Begriff der „Vision“. Damit wurde man immer zum Arzt geschickt. Zweifel an über 20 Millionen TEU im Hafen, an der Ausbaggerung der Elbe? Abgelehnt, setzen! Zweifel an der Ausweitung von Gewerbegebieten? I wo, das machen wir wie immer! Zweifel an der autogerechten Stadt? Wo kämen wir hin, rettet die Parkplätze! Auch in Zeiten stürmischen gesellschaftlichen Wandels blieb die Kammer Trutzburg des Neoliberalismus.

Kümmerliche drei Thesen

Nun aber! Heyne und Aust wollen den „gleichen Weg wie immer“ nicht mehr gehen. Jetzt wolle man „mutig sein und den bekannten Weg verlassen“. Das ist zwar erfreulich, aber ungefähr so rechtzeitig wie die Einsicht, dass es zu viel CO2 auf der Welt gibt. Etwas kümmerlich dann die drei „Thesen“: Es gebe, erstens, zu wenige Patente in Hamburg. Hamburg brauche, zweitens, neue Wirtschaftscluster – aber, lieber Norbert Aust, Tourismus gibt es nun doch wirklich schon genug … Drittens, die Zeit renne uns davon. Wow! Der gern geschmähte Präses Tobias Bergmann hatte in seiner ersten Rede bei den angeblich Ehrbaren Kaufleuten eine viel präzisere Analyse geliefert. Von Rebellen wollte man sich damals aber die Wahrheit nicht sagen lassen, von denen nicht!

Der frühere Kammerrebell Torsten Teichert.
Der frühere Kammerrebell Torsten Teichert. © Torsten Teichert | Torsten Teichert

Aust redet gerne von der in Trümmern liegenden Handelskammer und insinuiert damit, davor sei das ein prächtiges Schloss gewesen. Irrtum! Die Rebellen waren 2017 ans Ruder gekommen, weil die Kammer schon vorher eine intellektuelle Trümmer-Wüste war. Jetzt versuchen Heyne und Aust, der muffigen Handelskammer neues Leben einzuflößen, notfalls mit Visionen. Ein „Masterplan“ soll her. Eine „Standortstrategie 2040“. Die 100-Euro-Frage: „Wie wollen wir in Hamburg künftig leben – und wovon?“ Das erinnert an den alten Witz: „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“

Ohne Gedanken-Rebellion keine Visionen

Heyne und Aust sagen, sie seien von Corona „wachgerüttelt“ worden. Nun, spät ist immer noch besser als zu spät. Aus eigener Erfahrung können wir sagen:
Relevante Antworten werden wir von der Kammer nur dann bekommen, wenn diese bei sich selbst anfängt und keinen Stein mehr auf dem anderen lässt. Nennen wir es Gedanken-Rebellion. Ohne die gibt es keine Visionen.

Die Handelskammer verharrt in der Vergangenheit. Die vom letzten Plenum verabschiedete moderne neue Satzung wird vom jetzigen Präsidium blockiert. Bei der Besetzung der Ausschüsse wurden fast alle ehemaligen rebellischen Gegner übergangen. Die Kammer ist meilenweit davon entfernt, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und das Gesamtinteresse der Wirtschaft zu vertreten. Sie weiß nicht mal, was das ist. Wie könnte es auch anders sein, wenn sich nur 10 bis 15 Prozent an Wahlen beteiligen. Die Handelskammer hat ihre Legitimität und ihre Existenzberechtigung längst verloren. In Niedersachsen hat sich gerade die Pflegekammer per Wahl selbst aufgelöst.

Kammer als freiwillige Einrichtung

Unser Vorschlag für einen „Masterplan“: Die Handelskammer lädt alle Mitglieder zu einer Abstimmung darüber ein, ob sie ihre Kammer überhaupt noch wollen. Teilnehmen müssen mindestens 50 Prozent. Das Ergebnis wäre verbindlich. Wenn sich die Mehrheit gegen die Kammer entscheidet oder die Mehrheit ihr Desinteresse durch Nichtteilnahme bekundet, reduziert die Kammer ihre Arbeit auf das rechtlich mögliche Minimum. Mehr als fünf Millionen Euro Beiträge wird das nicht kosten. Eine Kammer, die von ihren Mitgliedern nicht gewollt wird, braucht niemand. Vielleicht hat der Gesetzgeber dann eines Tages Erbarmen und macht alle Kammern zu freiwilligen Einrichtungen. Dann ist der Spuk bald vorbei.