Die Stadt verschafft dem Club mit dem Stadion-Grundstückskauf vor allem Zeit. Eine Peinlichkeit wurde vermieden.
Der bissige Kommentar eines Teilnehmers unserer Redaktionskonferenz ließ nicht lange auf sich warten: „Dass dieser marode HSV von unseren Steuergeldern eine verdeckte Unterstützung erhält, finde ich nicht gut.“ Und es wirkt auf den ersten Blick ja auch widersprüchlich: Die Stadt Hamburg, die dem Club 1998 das Volksparkstadion plus Gelände für einen symbolischen Preis von einer Mark überlassen und für den Neubau der Arena im Hinblick auf die Heim-WM 2006 noch einen öffentlichen Zuschuss von 21,3 Millionen Mark gewährt hatte, kauft dem HSV das Grundstück 22 Jahre später für 23,5 Millionen Euro wieder ab.
Aber schauen wir uns zunächst die Ausgangslage an: Der Investitionsplan des HSV zur Sanierung des vereinseigenen Stadions vor der EM 2024 hatte sich pulverisiert. Für den Zweitligisten geht es in der nahen Zukunft nur noch darum, salopp formuliert, nicht pleitezugehen angesichts der fehlenden Zuschauer- und geringeren Sponsoren-Einnahmen.
HSV hätte sich bei der EM 2024 zurückziehen müssen – mit Folgen
In der Konsequenz hätte der HSV, der sich gemeinsam mit der Stadt erfolgreich um die Ausrichtung von EM-Spielen beworben hatte, die Hand heben müssen: Sorry, wir ziehen uns als Veranstalter zurück, weil wir die Anforderungen des europäischen Fußballverbandes Uefa nicht erfüllen können.
Ein Horrorszenario für den HSV, weil dringend benötigte Investitionshilfen (auch der Uefa) und Mieteinnahmen über EM-Gruppenspiele bei der noch dringenderen Modernisierung weggefallen wären. Ein Horrorszenario aber auch für die Stadt. Die zweitgrößte Stadt Deutschlands ist nicht in der Lage, EM-Spiele auszurichten? An Peinlichkeit nicht zu überbieten. Im Paket mit der EM-Gruppenauslosung im Dezember 2023 in der Elbphilharmonie und den Gruppenspielen bietet sich schließlich eine glänzende Chance, bei Millionen Menschen für Hamburg zu werben
Strategie beim FC St. Pauli bereits praktiziert
Auf der anderen Seite wäre es den Bürgerinnen und Bürgern der Hansestadt nur schwer zu vermitteln gewesen, würde die Stadt einfach nur einen Millionen-Scheck an den HSV ausstellen. Mit dem nun präsentierten Konzept modifiziert die Stadt die bereits beim FC St. Pauli praktizierte Strategie. Der Stadtteilclub kann 2060 den Nutzungsvertrag bis 2110 verlängern oder jene Konstruktion mit dem Erbbaurecht wählen, die jetzt beim HSV zum Tragen kommt.
Ob beim Verkauf des Stadiongrundstücks die Summe von 23,5 Millionen Euro gerechtfertigt ist oder nicht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist eher, dass die Stadt dem HSV zu einem cleveren Darlehen verholfen hat, das über die Pachtgebühr in Hohe von 423.000 Euro bis 2087 mehr als zurückfließt. Das Risiko, bei einer Insolvenz des HSV auf einem wertlosen Grundstück sitzen zu bleiben, trägt die Stadt natürlich. Doch nebenbei bemerkt: In anderen Städten wie Berlin – an der Modernisierung des Olympiastadions beteiligte sich der Bund mit 196 Millionen Euro – profitierte die Konkurrenz noch in viel größerem Maße von staatlicher Unterstützung.
HSV gewinnt Liquidität und Zeit
Darf sich der HSV also als der große Gewinner am Mittwoch fühlen? Ja und nein. Mit dem fairen Deal verschafft die Stadt dem Verein neben Liquidität vor allem eines: Zeit. Zeit, um sportlich wieder den Aufstieg zu schaffen und damit an die Millionen-Töpfe in der Bundesliga zu gelangen. Niemand sollte jedoch unter den Tisch fallen lassen, dass die Trennung von einem wichtigen Wert zum Finanzgebaren passt: Hier wurde wieder einmal ein Stück Zukunft verkauft.
Und wer sich die Summen anschaut, die über die nationale TV-Vermarktung und in der Champions League fließen, merkt schnell, wie unbedeutend diese 23,5 Millionen Euro sind im Vergleich zu den Einnahme-Möglichkeiten der Konkurrenz.