Das Geständnis des Rechtsterroristen Stephan E. zeigt: Verdachtsfälle darf man nicht vom Radar nehmen.

Glaubwürdigkeit ist schwer zu erwerben und schnell zu verlieren – eine leicht verderbliche Ware. Die Glaubwürdigkeit von Stephan E. stinkt zum Himmel. Das ist das Manko, der Generalvorbehalt zum gestrigen Geständnis des Rechtsterroristen im Mordfall Walter Lübcke. Es war von ihm schon die dritte Version des Tatablaufs binnen eines Jahres.

Das gestrige Geständnis knüpft an das erste an und ist im Vergleich die stimmigste Darstellung. Sie ist plausibel, nachvollziehbar und deckungsgleich mit den Ermittlungen, ein Markstein bei der Aufklärung des Mordfalls. Die Darstellung des Tatablaufs passt, und nur von E. wurden DNA-Spuren an den Kleidern des getöteten früheren Kasseler Regierungspräsidenten gefunden.

Stephan E. ist von seinen ersten zwei Verteidigern entweder gnadenlos falsch beraten oder mit maliziöser List instrumentalisiert worden. Warum maliziös? Stellen wir uns zwei Fragen: Wem schadete die „Heute hü, morgen hott“- Strategie, und wem nützte sie? Es ist offensichtlich, wem sie schadete, nämlich Stephan E.; und ebenso, wem sie nützt, dem Mitangeklagten Markus H. Mehr noch: Falls es ein rechtsextremistisches Netzwerk gegeben hat, tragen E.s wechselnde Einlassungen dazu dabei, das Bild eines Einzeltäters zu zeichnen, der unglaubwürdig und psychisch labil ist.

Zum Bild passt da, dass sein erster Verteidiger eine Affinität zur rechten Szene hatte und dass der zweite ein Mitbegründer von Pegida ist. Haben sie wirklich ihren Mandanten am besten vertreten?

Da tun sich womöglich Abgründe auf. Erschreckend ist, dass die letzte, im Ergebnis fatale Radikalisierung nicht im rechtsextremistischen Milieu, sondern in einem bürgerlichen Umfeld stattfand: bei der Arbeit, im Schützenverein, im Freundeskreis. Das wirft die Frage auf, ob der Verfassungsschutz Extremisten überhaupt als wieder „abgekühlt“ abstufen kann. Eigentlich kann man keinen Verdachtsfall wieder vom Radar verschwinden lassen.

Stephan E.s Position hat zwei Schwachpunkte: zum einen seine Glaubwürdigkeit, zum anderen seine psychische Labilität. Seine Unglaubwürdigkeit werden die Verteidiger seines Mitangeklagten Markus H. ausnutzen. Solange H. schweigt, wird es schwer werden, ihn zu überführen. Es steht Aussage gegen Aussage. E. gab sich vor Gericht reumütig und entschuldigte sich bei der Familie des Opfers. Das kann sogar ehrlich gemeint sein. Aber auch das trägt den allgemeinen Makel der Unglaubwürdigkeit. Was kann man E. wirklich abnehmen?

Die Strategie seiner Verteidigung zielt auf mildernde Umstände für einen Mann ab, der psychisch krank und in Behandlung und sowohl Täter als auch Opfer war. Opfer seines gewalttätigen Vaters. Die schwierige Kindheit ist einerseits eine Musterausrede, andererseits darf man sie nicht einfach verwerfen.

E. hat einen langen Weg zurückgelegt, vom Ausländerfreund zum Fremdenhasser, vom Grünen-affinen Umweltfreund zum Rechtsextremisten, von den Neonazis ins bürgerliche Milieu. Seine Motive sind vor Gericht nicht wirklich deutlich geworden. Fremdenhass, Kritik an der Flüchtlingspolitik, das alles spielte eine Rolle. Aber vor allem war er bestrebt, sich als jemand darzustellen, der von Markus H. manipuliert wurde.

Von diesem Fall darf man zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu viel politisch ableiten, nur so viel vielleicht: Aus Worten werden schnell Taten, aus Gewaltfantasien tödlicher Ernst. Er lehrt uns, wie stark die Flüchtlingspolitik ab 2015 polarisiert hat und wie hemmungslos die rechtsextreme Szene auftrumpft. Der Mord an Lübcke war kein Einzelfall, er reiht sich ein in eine lange Kette von Bluttaten, Beispiel Halle, Beispiel Hanau.