Peter Tschentscher hat sich im Amt des Hamburger Bürgermeisters neu erfunden.

In seinen ersten Monaten als Bürgermeister ist Peter Tschentscher oft, auch im Hamburger Abendblatt, nachgesagt worden, dass er seinem Vorgänger sehr ähnlich sei.

Das war zwar nicht falsch, aber in der Rückbetrachtung trotzdem ungerecht, weil Tschentscher damit auf einige besondere Eigenschaften von Olaf Scholz reduziert wurde: Wie dieser sei er eher sachlich, nüchtern und ruhig – keiner, der Menschen mitreiße, hieß es. Von der politischen Gestaltungsfähigkeit, der Kompetenz und dem strategischen Denken, das Scholz auch ausmacht, war damals bei Tschentscher noch keine Rede. Heute weiß man: Das hat er alles auch.

Peter Tschentscher – eine der großen Überraschungen

Der ehemalige Finanzsenator ist eine der großen Überraschungen in der Reihe der deutschen Ministerpräsidenten. Er hat es in kürzester Zeit von einer vermeintlichen Notlösung zum anerkannten Bürgermeister geschafft. Der eben noch unbekannte Tschentscher sitzt plötzlich nicht nur in Diskussionsrunden wie „Anne Will“, sondern auch in den Corona-Krisenkonferenzen direkt neben Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und schlägt sich dort sehr gut, genauso, wie es vor ihm etwa Olaf Scholz und Klaus von Dohnanyi getan haben.

Will sagen: Tschentscher ist angekommen in der Riege jener Hamburger SPD-Bürgermeister, die immer schon etwas anders – konservativer, intellektueller, weltmännischer – waren als führende Politiker der Sozialdemokratie anderswo. Dabei waren seine Startbedingungen alles andere als ideal. Zum einen, weil er anders als der heutige Finanzsenator Andreas Dressel und Sozialsenatorin Melanie Leonhard gar nicht als möglicher Bürgermeister gehandelt wurde.

Zum anderen, weil es jeder als Nachfolger von Olaf Scholz („Wer Führung bestellt, kriegt sie auch“) schwer gehabt hätte. Konnte es gut gehen, wenn der mächtige Bürgermeister von jemandem ersetzt würde, der ihm mindestens auf den ersten Blick so ähnlich ist?

Kanzlerkandidatur für die SPD

Nein, das konnte nicht gut gehen, und derjenige, der das als einer der Ersten erkannte, war Peter Tschentscher selbst. Er hat immer betont, dass er Olaf Scholz als Politiker schätzt und ihm alles zutraut, auch die Kanzlerkandidatur für die SPD. Und trotzdem ist der neue Bürgermeister spätestens ein paar Monate nach der Amtsübernahme vom Stil seines Vorgängers abgewichen.

Tschen­tscher betonte und betont zwar nach wie vor, dass Politik keine Showveranstaltung sei und er entsprechend kein Entertainer. Gleichzeitig hat er aber erkannt, dass es nicht schadet, „mal einen Witz zu machen“, lustig zu sein und Gefühle zu zeigen. Er ist nahbarer als die meisten seiner Vorgänger, ohne dabei distanzlos oder gar anbiedernd zu wirken. Vor allem hat er aber in seiner ersten Phase als Bürgermeister extrem viel gearbeitet und dabei bewiesen, dass er mindestens so belastbar ist wie Olaf Scholz. Etwas, was er wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten hat.

Bürgermeister durch Erfolg bei einer Wahl

Seit gestern ist Peter Tschentscher ein Bürgermeister, der das Amt nicht dem Verzicht eines anderen, sondern dem eigenen Erfolg bei einer Wahl zu verdanken hat. Und der in der Corona-Krise bewiesen hat, dass seine Popularität nicht von ungefähr kommt: Obwohl er einer der Ministerpräsidenten mit der geringsten Erfahrung war, steht Hamburg, der ehemalige Corona-Hotspot, heute in der Pandemie so gut da wie wenige andere Bundesländer.

Was auch daran liegen kann, dass Tschentscher anders als andere Spitzenpolitiker seine ganze Kraft in den vergangenen Monaten in die Bekämpfung des Virus und nicht in die eigene Karriere gesteckt hat. Auch das ist übrigens ein Vorteil des alten und neuen Hamburger Bürgermeisters: Er hat über dieses Amt hinaus keine weitere Ambitionen.