Hamburg. Dieser Sommer muss ein Freiluftsommer werden, für die Menschen in der Stadt, die Wirtschaft, die Kultur und den Tourismus.

Der Koalitionsvertrag, den Sozialdemokraten und Grüne in den vergangenen Wochen verhandelt haben, ist lang, sehr lang. Auf 205 Seiten wälzen die Partner aus, was sie in den kommenden Jahren auf den Weg bringen wollen. Geschätzte fünf Seiten macht allein die „gendergerechte“ Sprache aus – also ein Deutsch, das alle Geschlechter mitnehmen will und dabei die Verständlichkeit am Wegesrand zurücklässt. Dann entstehen so seltsame Sätze wie: „Am Hamburger Flughafen werden die Raucher*innenkabinen gemäß der Passivraucher*innenschutzverordnung nachgerüstet.“

Wenig Innovatives im Koalitionsvertrag

Na! Wirklich Innovatives, ja Visionäres findet man hingegen wenig. Manches ist sogar ziemlich ärgerlich: Der Bereich Tourismus etwa muss sich mit vier Absätzen auf 205 Seiten begnügen, andere Bereiche wie „die Förderung des Schwimmsports“ (sieben Kapitel) oder die „Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (zehn Kapitel) sind den Koalitionären offenbar etwas wichtiger. Das überrascht, weil kaum eine Branche so vom Coronavirus betroffen ist wie Hotels, Gaststätten, Kneipen, Clubs, Galerien, Kultureinrichtungen.

Und gleichzeitig ist kaum eine Branche so ein wichtiger Arbeitgeber: 73.000 Erwerbstätige – immerhin 6,1 Prozent aller Beschäftigten in Hamburg – arbeiten in diesem Bereich. Zur gesamten Wirtschaftsleistung trägt der Tourismus rund 3,1 Milliarden Euro bei, das entspricht einem Anteil von 3,2 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in der Stadt. Da wirken vier Absätze und null Ideen beim Tourismus etwas dürftig – zumal andere Ziele wie die Mobilitätswende, Teilhabe, Kulturstadt und Musikmetropole viel damit zu tun haben.

Hamburg, beweg dich – nach draußen

Also kommt hier eine Idee, die im Koalitionsvertrag abgesehen von einem Hinweis auf die Suche nach geeigneten Freiluftveranstaltungsflächen fehlt: Hamburg, beweg dich – nach draußen.

Studien zufolge ist das Infektionsrisiko für Covid-19 in geschlossenen Räumen um 19-mal größer als an der frischen Luft. Das Leben muss in Zeiten von Corona also aus den Häusern und Hallen auf Straßen und Plätze verlagert werden – und Hamburg in diesem Sommer zur Freiluftmetropole werden. Und anders als in Castrop-Rauxel oder Kassel liegt für Hamburg darin eine kolossale Chance.

Freiluft-Konzept mit Spielstraßen und Gastronomie

Ein Freiluft-Konzept ist kein Hexenwerk: Nebenstraßen wie etwa die Paul-Rosen-Straße, der Eppendorfer Weg oder die Ottenser Hauptstraße könnten ab sofort anders bespielt werden, als verkehrsberuhigte Spielstraßen. Gastronomen stellen Tische heraus, Einzelhändler Verkaufsständer. Zwei besonders getroffene Branchen der Corona-Rezession könnten so zusätzliche und dringend benötigte Umsätze erzielen.

An markanten Stellen der Stadt könnten Schausteller, ebenfalls ökonomische Corona-Opfer, Fahrgeschäfte für den Sommer aufbauen – warum nicht ein Kettenkarussell an der Alster, ein Riesenrad an der Elbe oder ein Kinderkarussell in der HafenCity? Die FDP hatte in Altona Ähnliches gefordert und SPD und CDU mit ins Boot geholt, war dann aber an den Bedenkenträgern bei Linken und Grünen im Bezirk gescheitert. Immerhin: Nun beginnt der Senat, sich für diese Idee zu erwärmen.

Theater und Kinos unter freiem Himmel

Auch darbende Theater, Kabarettisten, Kinos und Musiker könnten zumindest Teile ihres Programms unter freiem Himmel aufführen. Kultur ist analog. Wer glaubt, ein Livestream vermag den kulturellen Hunger zu stillen, der hält auch Autokinos für cineastischen Genuss. Natürlich müssen die Hygieneanforderungen bei allen Freiluft-Veranstaltungen eingehalten werden, was angesichts des Infektionsrisikos aber möglich scheint. Die Bürokratie muss mal großzügig sein.

Hamburg, beweg dich – nach draußen. Das wäre ein Programm für alle Hamburger, Touristen und die Wirtschaft zugleich. Nach den Verlusten des Frühjahrs wäre dieser Corona-Sommer ein Gewinn. 29 Prozent der Deutschen wollen 2020 gar nicht verreisen. Für diese große Gruppe muss Hamburg Angebote bereithalten und die Stadt neu erfahrbar machen - am besten mit dem Rad.

Viele Deutsche reisen nun durchs eigene Land; da könnte das Konzept der Freiluftstadt für viele ein Grund werden, an der Elbe vorbeizuschauen. Mit diesem Konzept kann sich Hamburg von anderen Metropolen abheben. Und welche Stadt kann angesichts großer Wasserflächen und weitläufiger Naturschutzgebiete dieses Versprechen geben: Wir halten Abstand und sind trotzdem zusammen?