In der neuen Amazon-Doku über den Weltmeister wird viel geweint. Zum Heulen ist das Werk von Til Schweiger aber keineswegs.

Wahrscheinlich wäre es ein interessantes Thema für eine Doktorarbeit, wann der Moment kam, dass eine Doku über das eigene Leben zum guten Ton als Fußballer dazugehört. Vielleicht war dieser Moment bereits vor fünf Jahren da, als Zlatan Ibrahimovic („Ihr redet, ich spiele“) in seiner ganzen Bescheidenheit sein Leben verfilmen ließ. Oder erst drei Jahre später, als „Being Mario Götze“ auf den Markt kam?

Eine Saison später musste es dann noch eine Nummer größer sein, als Götzes WM-Kollege Toni Kroos direkt mal einen Kinofilm wagte. Der mehr oder weniger kreative Titel: „Kroos“. Und nun also Bastian Schweinsteiger, der dritte Weltmeister von 2014.

„Schw31ns7eiger: Memories – Von Anfang bis Legende“

Um es direkt vorwegzunehmen: Der Titel „Schw31ns7eiger: Memories – Von Anfang bis Legende“ mag ebenfalls ausbaufähig sein, der Inhalt ist es nicht. Die Doku, die ab diesem Freitag bei Amazon Prime zu sehen ist, hat wahrscheinlich nur ein Problem: dass die beste Sport­doku aller Zeiten über den Basketball­giganten Michael Jordan gerade erst ein paar Wochen alt ist. An die Netflix-Jordan-Serie „The Last Dance“ kommt der Schweinsteiger-Streifen zwar nicht ran, aber extrem gut gemachte Unterhaltung ist dennoch garantiert.

Bleibt nur die Frage, ob der Ham­burger Filmemacher Til Schweiger dafür die Hauptverantwortung trägt. Oder Schweinsteigers Papa Alfred, der seine Söhne in einem Alter auf Schritt und Tritt mit der Videokamera begleitete, als es weder Smartphones noch Handys gab.

Privataufnahmen durch Schweiger-Szenen ergänzt

Die Antwort ist: egal. Denn beides ergänzt sich hervorragend. Wunderbar sind die alten Bilder vom Familienweihnachtsfest in Oberaudorf, Skirennen vom kleinen Basti und Fußballspielen im Park. Stark in Szene gesetzt sind aber auch die neuen Sequenzen mit Ehefrau Ana Ivanovic beim
Tennisspielen, Chicago-Bummel und der Hochzeitsfeier.

Anders als Kollege Kroos verzichten die Schweinsteigers darauf, ihre eigenen Kinder ins Rampenlicht zu stellen. Genügend private Eindrücke gibt es aber trotzdem. Zum Beispiel von Schweinsteigers Tränen bei der eigenen Hochzeitsparty in Venedig.

Die Tränen fließen in der Doku

Rotz und Wasser geheult wird ohnehin reichlich. So hat auch Kronzeuge Uli Hoeneß Tränen in den Augen, als er sehr ergriffen berichtet, wie er im Gefängnis das WM-Finale 2014 verfolgt und von Schweinsteiger im TV-Interview gegrüßt wird („Eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse, die ich je gehabt habe“). Auch beim verkündeten Karriereende in der Kabine der Chicago Fire wird natürlich geweint. Beim finalen Sichten wollte der Nationalspieler diese Bilder eigentlich streichen. Doch Kumpel Schweiger konnte ihn eines Besseren belehren.

Umgekehrt wäre im Fall Til Schweiger möglicherweise weniger mehr gewesen. Dass sich der Chef der Produktionsfirma Barefoot Films immer wieder selbst interviewt, wirkt ein wenig irritierend. Doch über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

„Basti war der König auf dem Platz“

Einig dürften sich aber alle Zuschauer sein, die bei den starken Bildern von der WM 2014 noch mal kollektiv ins Schwärmen geraten. „Basti war der König auf dem Platz“, sagt Bundestrainer Joachim Löw – und wird direkt beim nächsten Schnitt bestätigt, als Schweinsteiger vor versammelter Mannschaft die Rede unmittelbar vor der Verlängerung im WM-Finale hält.

Überhaupt: Brasilien. Die WM. Das Finale. Und im Zentrum von all dem: dieser blutüberströmte Krieger, den der Boulevard einst Schweini taufte. Das alles wirkt so kitschig und wirklichkeitsfern, dass man fast geneigt ist, von einem typischen Schweiger zu sprechen. „Eigentlich war ich immer ein Fan von Basti Schweinsteiger“, sagt dann auch noch Jogi Löw.

Braucht man eine Doku über die eigene Karriere?

Und spätestens jetzt ertappt man sich sogar als Journalist selbst dabei, zustimmend und ergriffen zu nicken, obwohl eben jener Herr Schweinsteiger nach den Spielen immer sehr rüde die Interviews verweigerte. Ganz am Ende des Films, in der Kabine der Chicago Fire, sagt dieser Fußballheroe nur noch sechs Wörter: „I stop playing football. That’s it!“

Und die Frage, ob man nun eine Doku über die eigene Karriere zwingend braucht? Die Antwort: man nicht! Aber Basti Schweinsteiger unbedingt.