Nach Jahren im Schlaraffenland muss Rot-Grün nun maßhalten und Prioritäten setzen.
Andreas Dressel hat einen sehr richtigen, aber auch etwas entlarvenden Satz gesagt. „,Wünsch dir was‘“, stellte Hamburgs Finanzsenator am Ende der rot-grünen Koalitionsverhandlungen fest, „wird nicht mehr funktionieren in den den nächsten Jahren.“
Die entscheidenden Worte waren dabei „nicht mehr“. Denn sie waren ein Hinweis darauf, dass „Wünsch dir was“ in den vergangenen Jahren ganz gut funktioniert hat. Ein Jahrzehnt lang stiegen die Steuereinnahmen der Stadt so atemberaubend schnell, dass die Senate kaum mit dem Geldausgeben hinterherkamen. Es gab Zeiten, da wurde im laufenden Haushaltsjahr beschlossen, die Ausgaben um Hunderte Millionen Euro anzuheben – und am Jahresende stand dennoch ein riesiger Überschuss.
Ein finanzpolitisches Schlaraffenland, in dem Politik mal nach Herzenslust gestalten konnte. Weitgehend gebührenfreie Kitas und Universitäten, Vollendung der Elbphilharmonie, teure Einigungen mit diversen Volksinitiativen, Einführung eines städtischen Mindestlohns, Rückholung und Sanierung der „Peking“ inklusive eines neuen Hafenmuseums – Geld war scheinbar immer genug da. Dieses Schlaraffenland hat ein winziges Virus nun abrupt geschlossen.
Rot-Grün hat trotz immens gesteigerter Ausgaben Haushalt saniert
Indes: Zu behaupten, die Senate Scholz und Tschentscher hätten das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen, läge dennoch daneben. Erinnert sich noch jemand an die 0,88-Prozent-Regel, diese vielfach beklagte, strikte Deckelung der Ausgaben? Will jemand die Gebührenfreiheit an Kitas und Unis rückgängig machen, die heute als großer Standortvorteil Hamburgs gilt? Oder in einer teuren Stadt wie Hamburg ernsthaft den Mindestlohn wieder reduzieren? Hätten wir die Elbphilharmonie als Ruine verrotten lassen sollen? Die Forderung der Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburgs Kitas“ ablehnen sollen? Das wäre nicht nur inhaltlich falsch gewesen, ein aus Senatssicht verlorener Volksentscheid hätte die Stadt auch noch viel mehr Geld gekostet.
Nicht zuletzt haben der rote und später der rot-grüne Senat trotz der immens gesteigerten Ausgaben den einst tiefdefizitären Haushalt dennoch saniert – und es nebenbei geschafft, die Stadt ohne größere Verwerfungen durch eine Flüchtlingskrise zu manövrieren, die Hamburg zeitweise eine Milliarde Euro pro Jahr gekostet hat. Das war unterm Strich eine kluge, wenn auch vom langen Aufschwung und niedrigen Zinsen stark begünstigte Politik.
SPD und Grüne müssen Prioritäten setzen
Aber diese Zeiten, in denen alles gleichzeitig ging, sind vorerst vorbei. Dass Rot-Grün die angeschobenen Großprojekte – vom Bau neuer U- und S-Bahnen über die Milliardenprogramme für Schulen und Hochschulen bis zu den ehrgeizigen Klimaschutzzielen – durchziehen will, ist richtig, schon um der Konjunktur keinen weiteren Schaden zuzufügen. In Notstandszeiten wie diesen kann das auch, trotz Schuldenbremse, mit Krediten finanziert werden.
Doch daran sollten wir uns im Interesse unserer Kinder und Enkel nicht gewöhnen. Wenn eines Tages dieser Corona-Notstand überwunden ist, die Einnahmen aber noch nicht auf Normalniveau zurückgekehrt sind, müssen SPD und Grüne sich daher in einer ungewohnten Disziplin üben: maßhalten und Prioritäten setzen. Und zwar zum einen dort, wo Beschäftigung erhalten oder geschaffen werden kann, und zum anderen dort, wo der Mehrwert für die Zukunft der Stadt möglichst groß ist – etwa beim Klimaschutz, der Verkehrswende, bei Bildung und Digitalisierung.
Was letztlich geht und was nicht, wird künftig umstrittener sein. Insofern werden die nächsten fünf Jahre für Rot-Grün eine deutlich größere Herausforderung als die vergangenen fünf.