Selten hat man Angela Merkel klarer, entschiedener und engagierter erlebt. Die Zögerlichkeit des vergangenen Jahres, der Rückzug aus öffentlichen Debatten, die gefühlte Amtsmüdigkeit – vorbei. Stattdessen erleben wir eine Kanzlerin, um deren Nüchternheit und wissenschaftliche Kompetenz uns die Welt beneiden dürfte. In Deutschland fährt Merkel Zustimmungswerte ein, die an die frühe Phase der Flüchtlingskrise erinnern. Politikern wie ihr und Hamburgs Bürgermeister
Peter Tschentscher gelingt es, mit klaren, eindringlichen Worten, mit regelmäßiger Ansprache in den Medien und mit Haltung die Menschen zu einem sehr konsequenten Verhalten in der Krise zu bewegen.

Diese Konsequenz und die Einsicht, dass das Virus unser Leben noch über viele Monate diktieren wird, da es absehbar keinen Impfstoff geben wird; die Entschiedenheit, mit der wir mit dem Entzug von Freiheitsrechten umgehen – das alles ist gefährdet, wenn es zu einem Flickenteppich der Regelungen kommt.

Das Verständnis für Maßnahmen wie die Kontaktsperre oder das Abstandhalten wird gefährdet, wenn Länderfürsten meinen, Alleingänge starten zu müssen. Wer wie Nordrhein-Westfalen erlaubt, gigantische Möbelläden zu öffnen, befördert unnötige Debatten und juristische Auseinandersetzungen anderenorts – wie aktuell in Hamburg. Wer Fußball-Geisterspielen einen Termin umhängt, ohne dass es eine Linie der Bundesregierung und der Länder gibt, sorgt dafür, dass die Akzeptanz für andere radikale Maßnahmen schwindet. Dietmar Bartsch von den Linken hat recht, wenn er sagt, dass „der Kommunikationswirrwarr Zwischenerfolge gefährdet“. Und mehr als einen Zwischenerfolg haben wir noch nicht erreicht.

Eine zweite Welle der Coronapandemie droht. Wenn wir jetzt durch eine politische Kakofonie dafür sorgen, dass die Menschen leichtsinniger werden, weil ihnen das Verständnis für die Einschränkungen fehlt, werden die nächsten Maßnahmen umso radikaler ausfallen. Dann dürfte es uns wie Italien oder Spanien ergehen: Ausgangssperre statt Kontaktverbot, radikale Schließungen von Unternehmen statt vorsichtiger Lockerungen. Das kann niemand wollen.