Ja, wir brauchen jetzt einen Ausnahmezustand. Und ja, er muss bald wieder enden.
Nach zwei Wochen Ausnahmezustand gibt es zwei grundlegende Wahrheiten. Wahrheit eins: Die meisten von uns sind im Krisenmodus angekommen und verhalten sich so, wie es verlangt wird und wie es die Situation gebietet. Wahrheit zwei: Allzu lange halten wir das nicht aus.
Zum ersten Punkt: Ja, es hat etwas gedauert, bis wir unser normales Leben auf ein Leben in Krisenzeiten umgestellt haben. Nicht umsonst hat die Politik vor genau einer Woche dem Volk noch mit Ausgangssperren gedroht. Sieben Tage später funktioniert aber vieles so, wie sich das Virologen und Landesregierungen wünschen.
Was wir uns jetzt aneignen, werden wir in den kommenden Monaten brauchen
Die Menschen lernen Tag für Tag mehr, wie man sich angesichts der Epidemie zu verhalten hat. Vor Apotheken bilden sich Warteschlangen, mit je zwei Metern Abstand, und nur zwei Personen sind gleichzeitig im Geschäft. Vor Supermärkten werden Einkaufswagen desinfiziert, in Obst- und Gemüseabteilungen darf sich nicht mehr jeder selbst bedienen. Und insgesamt sind die Bewegungen auf ein Minimum reduziert, das es so in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben haben dürfte.
Das sind alles gute Entwicklungen, nicht nur, um die Epidemie-Kurve abzuflachen, sondern auch, um mit Corona in den nächsten Monaten vernünftig umgehen zu können. All das, was wir uns jetzt aneignen, all die kleinen Regeln und Maßnahmen, um soziale Distanz zu wahren, werden wir in den kommenden Monaten brauchen. Und es würde ja selbst ohne Corona nicht schaden, wenn Menschen zum Beispiel häufiger Hände waschen und die viel zitierte Husten- und Niesetikette einhalten würden.
Der Krisenmodus kann nicht von Dauer sein
Also: Wir üben jetzt ein Stück weit auch Verhaltensmuster ein, an denen wir festhalten müssen, wenn die ganz harten Maßnahmen gelockert werden. Womit ich bei Wahrheit Nummer zwei wäre: So falsch es wäre zu behaupten, dass sich die Coronaepidemie in wenigen Wochen erledigt hat, so falsch ist zu glauben, dass wir den aktuellen Zustand über Monate aufrechterhalten können. Das geht aus vielen verschiedenen, zum Teil existenziellen Gründen nicht.
Damit meine ich nicht nur die wirtschaftliche Lage im Land, die Sorgen, die sich vor allem Selbstständige um den Fortbestand ihrer Unternehmen und Angestellte um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze machen.
Längere Isolation könnte auch auf die Gesundheit schlagen
Nein, es geht um mehr, um viel mehr: Wenn die Gesellschaft, wenn alle Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und dem Rest Deutschlands über Monate so eingesperrt und isoliert blieben wie im Moment, wären extremste gesellschaftliche Verwerfungen und, auch das, schwerwiegende Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit zu erwarten. Stichworte sind häusliche Gewalt, Vereinsamung, zu wenig Bewegung, zu wenig frische Luft, zunehmende Ängste und, und, und.
Hinzu kommt, dass der Entzug von Grund- und Freiheitsrechten in einer Demokratie nur funktioniert, wenn er zeitlich begrenzt ist. Ist er es nicht, ist die Demokratie eben keine Demokratie mehr. Was folgt daraus?
Über das Jahr hinweg brauchen wir einen Mix an Maßnahmen
Erstens: Es war klug von der Politik, den Menschen eine klare Ansage zu machen, dass das Land bis zum 19. April erst einmal im Ausnahmezustand bleibt.
Zweitens: Bis dahin muss ein Plan B entwickelt und (nicht zu spät) verkündet werden, wie es danach weitergeht.
Drittens: Über das Jahr hinweg brauchen wir einen Mix an Maßnahmen, die mal aktiviert und mal gelockert werden, um dem Virus und unserer freiheitlichen Gesellschaft gerecht zu werden.
Das Gute ist: Das haben längst alle erkannt, vom Gesundheitsminister über die Ministerpräsidenten bis hin zu den Virologen. Oder, um Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher zu zitieren: „Keiner muss glauben, dass wir die aktuellen Maßnahmen über Monate aufrechterhalten werden.“